: Schön fliegen
Mit dem Hubschrauber zur eigenen Luxusvilla? Ein Unternehmen in Karlsruhe darf das. Wie vor ihm der Flowtex-Milliardenbetrüger Big Manni. Eine Komödie in drei Akten
von Meinrad Heck
Wer etwas auf sich hält, der wohnt da oben. Karlsruhe ist nicht wie Stuttgart. Kein Kessel, kein Tal. Die badische Residenz in der Rheinebene ist flach wie eine Flunder, nichts, worauf man hinabsehen könnte. Wer etwas auf sich hält, muss raus aus der Stadt in die Ausläufer des Schwarzwaldes. Dort, im Stadtteil Durlach, gibt es Hügel, von denen einer der Turmberg genannt wird. An dessen grün bewaldeten Hängen lässt es sich gut leben.
Je höher es die Menschen hinaufschaffen, desto teurer wird es, und umso wichtiger mögen sie sich fühlen. Ganz nach oben, wie es höher nicht mehr geht, auf ein exklusives und 59.446 Quadratmeter großes Fleckchen Erde, mit Villa, Gästehaus, Tennisplatz, Schwimmbad, Hubschrauberlandeplatz und einem Blick über alle Grenzen hinweg bis hinüber in die Pfalz und nach Frankreich, dort hinauf hatte es schon mal einer geschafft. Und danach war die ganze Republik mit Hohn und Spott über die badische Residenz hergefallen, weil sie auf einen Blender, nämlich diesen Flowtex-Milliardenbetrüger, hereingefallen war. Diesen Luxus da oben, den hat Volkes Stimme nach all der Häme in traumatischer Erinnerung. Wer viele Jahre nach dem Skandal ausgerechnet dort oben logiert, der ist gut beraten, zu bedenken, was er denen da unten noch zumutet.
Erster Akt, 1990 bis 2005:
Ach wie schön, dass es noch reiche Menschen gibt, seufzten in diesen Jahren ein paar Honoratioren, vor allem jene, die das Privileg genießen und bei rauschenden Festen des Sonnenkönigs hoch auf dem Turmberg zu Baden dabei sein durften. Dieser König hieß Manfred der Große. Er war ein früherer Schrotthändler gewesen. Gute Freunde hatten ihn Big Manni nennen dürfen. Ein gewisser Lothar Späth befand seinerzeit, „solche Männer braucht das Land“.
Dieser Big Manni hatte mit seinem Flowtex-Unternehmen für den Kauf von Hightech-Bohrmaschinen, die es nie gegeben hatte, ein paar Dutzend großen Banken im Lauf von zehn Jahren anfangs ein paar Hunderttausend, mit der Zeit ein paar Hundert Millionen und am Ende ein paar Milliarden aus der Nase gezogen. Er residierte in jener Villa, die heute wieder die badische Seele bewegt.
Seinerzeit hatte diese geplagte Volksseele noch in den Altstadtgassen am Fuß des Turmbergs getuschelt, wer da oben auf dem Berg alles ein und aus ging oder per Sondergenehmigung mit dem Hubschrauber einschweben durfte. Das waren Blaublüter gewesen oder berühmte Medienmenschen, aber auch Bürgermeister, Landräte oder Minister. Und die Menschen am Fuß des Berges wussten sich ganz wunderliche Dinge zu erzählen. Bei dem da oben in der Villa, bei dem spuckt der Kühlschrank auf Knopfdruck fix und fertige Eiswürfel aus. Unglaublich, sagte seinerzeit Otto Normalverbraucher, „bei mir fällt heute noch kein Eiswürfel aus dem Kühlschrank“.
Solche Eiswürfel waren wichtig. Etwa wenn dieser Big Manni an heißen Tagen bei schwierigen Geldgeschäften ins Schwitzen kam und sich zum sündhaft teuren Roten Chateau Irgendwas zwecks Temperierung desselben besagte Eiswürfel reichen ließ und damit Gourmet-Geschichte schrieb. Seine Banker konnten manchmal auch etwas störrisch sein. Sie bedurften dann einer gewissen Nachhilfe. Wenn's um 30, 40 oder noch mehr Millionen ging und der Rubel einfach nicht schnell genug rollen wollte. Da half Big Manni nur noch das richtige Wort zur richtigen Zeit. Etwa, dass der Hummer nun wirklich langsam kalt zu werden drohe, woraufhin der Geldadel sogleich wusste, dass seine Fütterung bevorstand, und in aller Eile die nächsten Millionen freigab.
Ach, der Geldadel. Ein französischer Honorarkonsul, der im wirklichen Leben Repräsentant einer außerordentlich großen deutschen Bank gewesen war, hatte bei einer Geburtstagsparty in dieser legendären Karlsruher Turmbergvilla 1999 noch geschwärmt, welch ein Visionär dieser Flowtex-Unternehmer doch sei und wie der „mit flexibler Beharrlichkeit“ Chancen erkannt und genutzt habe. Unglücklicherweise musste der Herr Konsul ein halbes Jahr später erkennen, dass dieser Visionär ausgerechnet seine Bank – sehr beharrlich, versteht sich – um ziemlich genau 171 Millionen 965 Tausend 146 deutsche Mark und 73 Pfennig erleichtert hatte. Im Februar 2000 war das gigantische Schneeballsystem mit einem Volumen von umgerechnet 2,2 Milliarden Euro als größter Wirtschaftsbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte aufgeflogen. Danach klagten die badischen Honoratioren ganz im Vertrauen: „Schade, dass es jetzt keine reichen Menschen mehr gibt.“
Zweiter Akt, 2005 bis 2010:
Flowtex war Geschichte, Big Manni für sieben Jahre im Knast, seine Banker bis auf die Knochen blamiert. Manche Politikerfreunde oben in der Landesregierung waren ihren Job losgeworden, und diese legendäre Villa Manfreds des Großen stand leer. Fünf Jahre versuchten Flowtex-Insolvenzverwalter, die bescheidenen 59.446 Quadratmeter, wie es so schön heißt, „für die Masse zu verwerten“. Zuletzt hatten sie den Preis auf 6,5 Millionen Euro heruntergeschraubt. Auch dafür wollte keiner einsteigen. Erst bei fünf Millionen Euro schlug einer zu. Ein älterer Herr, sehr vermögend, mit Wohnsitz an der Themsemündung nahe London und mit exzellenten Verbindungen zu ebenso exzellenten Advokaten.
Die Geschichte des Verkaufs blieb manchen Journalisten seinerzeit natürlich nicht verborgen. Wer der Käufer gewesen war, schien nicht sonderlich wichtig, nur der Deal war eine Nachricht wert. Also dauerte es nicht lange, bis die ersten Randnotizen auftauchten, wonach diese legendäre Flowtex-Villa verkauft worden sei. Der eine oder andere Medienmann ließ seiner Fantasie vielleicht etwas zu freien Lauf und verortete den neuen Besitzer gleich in Russland und oder in der Nähe der dortigen Mafia, weil sich im nahen und mondänen Baden-Baden sehr, sehr viele reiche Russen eingekauft hatten – warum nicht auch auf jenem Turmberg?
Eines Tages im September 2006 flatterte den Medienleuten das Schreiben eines Karlsruher Advokaten auf den Tisch, worin jener zu erkennen gab, er vertrete den Käufer der Flowtex-Villa. Dieser sei mitnichten irgendein Russe, sondern ein Herr, der „nicht wünscht, namentlich in der Öffentlichkeit benannt zu werden“. Nicht genannt zu werden, darauf habe sein Mandant ein Recht, und sie, also die Journalisten, werden doch wohl „diese Auffassung sicherlich teilen“, weswegen der Advokat die Medienmenschen mit freundlichen Grüßen um ihre Bestätigung bitten wollte, und zwar ausdrücklich „bis morgen, 10 Uhr“.
Gut, der eine oder andere mag artig geantwortet und bestätigt haben, bei anderen landete das Schreiben da, wo es hingehörte, im Papierkorb, und wurde wenig später zur Wiedervorlage ins Archiv für wann auch immer wieder herausgefischt. Fünf Jahre war erst einmal Ruhe.
Dritter Akt, 2011:
Oben auf dem Turmberg haben sich die Verhältnisse geändert. Neben dem steinreichen Herrn, der so gerne unerkannt bleiben wollte, haben sich weitere Nutzer auf jenen 59.446 Quadratmetern einquartiert. Sehr erfolgreiche junge und untadelige Unternehmerinnen und Unternehmer, deren Firmen sich mit Eventmanagement beschäftigen, Selbstfindungskurse für Manager bis hinauf in die Chefetagen eines DAX-Konzerns organisieren. Oder auch Gesellschaften, die bei Unternehmensverkäufen beraten und nach „strategischen Investoren“ suchen. Aber auch GmbHs, die Immobilienprojekte entwickeln. Ein Charterunternehmen für Hubschrauber gehört zum Portfolio oder ein Unternehmen, das Software für Insolvenzverwalter programmiert und damit den deutschen Markt erobert hat.
Plötzlich kommt die legendäre Villa wieder in die Schlagzeilen. Denn die jungen Unternehmer brauchen – ähnlich wie Big Manni – einen Hubschrauber vor der Villa. Ausdrücklich nicht für den älteren Herrn und mysteriösen Eigentümer, sondern rein dienstlich. Auch nicht für irgendwelche Events oder strategischen Investoren, sondern für ihre Software. Denn falls diese Software abstürzt, muss der Hubschrauber starten, weil vertraglich ein exzellenter und vor allem „schnellstmöglicher“ Service zugesichert wurde.
Solch ein Service-Helikopter gehört natürlich nicht vor eine Villa, sondern auf einen Flugplatz, sollte man meinen. Das tut er auch. Üblicherweise startet und landet er auf dem Baden-Airpark. Das ist jener Regionalflughafen bei Baden-Baden, der früher mal eine kanadische Airbase gewesen und von einem Privatunternehmer in den 90er-Jahren mit viel Geld aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst worden war. Weil im Badischen die Welt recht überschaubar ist, hörte jener gönnerhafte Unternehmer der 90er Jahre zufällig auf den Namen Big Manni, und die Kohle, die er in „Badens Tor zur Welt“ gesteckt hatte, waren ausgerechnet die Millionen gewesen, die er ergaunert hatte.
Heute ist das alles immer noch unsäglich peinlich, aber immerhin ist es vorbei. Jedenfalls eigentlich. Wären da nicht diese neuen Schlagzeilen um einen neuen Hubschrauber mit neuen Unternehmern und dieser alten Luxusvilla. Denn die besagte Karlsruher Software-Schmiede hat zwar mit der alten Flowtex-Geschichte nun wirklich nicht das Allergeringste zu tun, sie hat nur mit diesem schnellstmöglichen Service und der Fliegerei hin und wieder ein Problem.
Denn der symbadische Teil des Musterlandes ist zwar wie sein Wein meist von der Sonne verwöhnt, manchmal aber auch nicht. Von Zeit zu Zeit verschwindet Badens Tor zur Welt unweit des Rheins in einer derart dicken Nebelsuppe, dass man am helllichten Tag kaum noch die Hand vor Augen sieht, geschweige denn mit dem Hubschrauber zu irgendeinem Systemabsturz starten kann. Eine Ausnahmegenehmigung, damit dieser Helikopter anderenorts starten dürfte, wäre also hilfreich.
Dort oben auf dem Turmberg zu Baden, also über den Wolken und über dem Wetter mit freier Sicht, zufälligerweise vor der Haustür der Software-Villa, das wäre der richtige Ort. So sollte es auch kommen. 40 Flüge im Jahr hat das Regierungspräsidium Karlsruhe tatsächlich dieser Software-Schmiede genehmigt. Wer sollte warum etwas dagegen haben? Etwa die Politik?
Sie hörte wie immer auf Volkes Stimme und ließ mit klugen Bemerkungen nicht lange auf sich warten. Die CDU etwa, deren baden-württembergische Landesväter seinerzeit den milliardenschweren Gauner mit „Lieber Manfred“ anzusprechen pflegten, diese CDU ließ in Person ihres badischen Landtagsabgeordneten Manfred Groh wissen, jetzt seien schließlich die Grünen an der Regierung. Die hätten diese Fluggenehmigung kraft irgendeines Ministeramtes verhindern können, nein, müssen. Was sie nicht getan haben, also sind sie schuld. Die FDP, mit ehemaligen Landesministern und Kommunalpolitikern in Sachen Flowtex wegen Verjährung gerade noch an Korruptionsverfahren vorbeigeschrammt, diese Liberalen waren ungefähr so tief in den alten Milliardenskandal verstrickt, wie sie heute in der Wählergunst gefallen sind, also abgrundtief. Sie zogen es vor, zu schweigen.
Ein grüner Karlsruher Fachdezernent im Rathaus hätte liebend gern irgendeinen Juchtenkäfer oder eine schützenswerte Wildkatze gefunden, deren empfindliche Ohren im Naturschutzgebiet ein kategorisches Nein erlaubt hätten, fand aber nichts. Seine CDU-geführte Stadtverwaltung diagnostizierte demzufolge wegen der Fliegerei eine allenfalls „geringfügige Beeinträchtigung des Naturgenusses“. Sie besann sich ansonsten auf das Wesentliche, nämlich „grundsätzlich Unternehmen, die zur wirtschaftlichen Entwicklung der Technologieregion Karlsruhe beitragen, zu unterstützen“. Und dafür muss man auch schon mal vor der eigenen Haustür abfliegen dürfen.
Die Sozialdemokraten erkannten eher die historische Brisanz des Falles. Ihrem Landtagsabgeordneten Johannes Stober waren die zehn Jahre alten Peinlichkeiten der Flowtex-Geschichte noch sehr präsent, auch die „Sonderbehandlung“ des früheren Milliardenbetrügers, der seinerzeit schließlich ebenfalls hatte fliegen dürfen, war ihm geläufig. Aber mehr, als auf all diese doch „sehr sensiblen Fragen“ und dieses „fatale Zeichen“ hinzuweisen, welches die örtliche Bevölkerung heute wieder umtreibt, blieb ihm auch nicht.
Epilog, dem Himmel näher:
Die Zeiten hatten sich scheinbar wieder geändert – oder auch nicht. Manfred der Große war aus den Schlagzeilen verschwunden. Nach sieben Jahren Knast mit privater Sterneküche und eigenem Physiotherapeuten hinter Gittern hat er längst den neuen Lebensabschnitt der Resozialisierung in einer sündhaft teuren Villa auf Mallorca begonnen. Seine frühere und so legendäre Villa auf dem Turmberg zu Karlsruhe-Durlach? Sie ist immer noch ein Privileg für jeden, der in diesem Luxus residiert. Mit dem nötigen Kleingeld und Hubschrauber vor der Haustür kennt der Himmel keine Grenzen.
Und die Volksseele in den badischen Gassen? Wo ist das Problem? Auch sie kommt dem Himmel näher. Die Industrie hat ihre Chance erkannt. Immer mehr und immer billigere Kühlschränke spucken heutzutage fix und fertige Eiswürfel aus.