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Archiv-Artikel

Handfestes Gefühlsrodeo

Im Ballhaus Ost wird Sam Shepards Stück „Fool for love“ zur Boulevardkomödie

„Welcome Rodeo Friends“ werben Banner im Zuschauerraum des Ballhaus Ost für Bier einer US-Marke, launige Countrysongs dudeln im Hintergrund. Das Setting stimmt auf die Hassliebe ein, von der Sam Shepard in seinem Kammerspiel „Fool for love“ erzählt, das ähnlich unberechenbar und nervös verläuft wie der Kraftakt des Rodeoreitens.

Der kalifornische Autor und Schauspieler, geboren 1943, hat über 50 Stücke und Drehbücher verfasst, unter anderem für Antonioni und Wim Wenders. „Fool for love“, 1984 von Robert Altmann mit Shephard in der Hauptrolle verfilmt, spielt in einem trostlosen Motel am Rand der Wüste. Hier kellnert May, und Eddie, ein erfolgloser Rodeoreiter, kommt alle paar Jahre mit seinem Pferdeanhänger vorbei. Jedes Mal beginnt ein undurchsichtiges Gerangel von Gefühlen, ein Wechselspiel von Verletzung und Unterwerfung.

Alexander Scheer stolpert in der Inszenierung von Philipp Reuter schlaksig durch die Tür, ganz Marlboro-Man, eine Kippe glüht unter der Krempe seines Cowboy-Huts, und beginnt, einen Sattel zu polieren. Er habe ein Stück Land in Wyoming gekauft, eröffnet er Nicolette Krebitz, die als May in schlampiger Wäsche auf dem Sofa gammelt. „Ein Garten und ein Paar Hühner“, so beschwört er den Traum vom Aufbruch ins kleine Glück, ohne selbst daran zu glauben. Nicht nur die Hauptrollen sind mit Filmschauspielern besetzt, auch das Bühnenbild ruft Kinobilder ab: Annette Meyer hat den schraddlig-schönen Raum des Ballhauses mit einem Guckkasten zugebaut, darin ein Wohnzimmer mit Sesseln, Topfpflanze und Stehlampe. Ein Ventilator surrt unergründlich, Zwielicht dringt durch ein weißes Rollo, dahinter schimmert die sorgfältig gemalte Wüstenlandschaft von New Mexico. So viel Realismus auf der Bühne eines Theaters, das sich dem Experiment verschrieben haben will, weckt die Erwartung, dass demnächst das Sofa wegbricht oder das Kakteendekor abbröckelt, denn Amerika-Symbole sind ja meistens irgendwie politisch gemeint.

Doch in der zweiten Stunde wird klar, dass es keine ironische Wendung geben wird. Im Liebesschmerz jagen sich May und Eddie durchs Wohnzimmer, um irgendwann erschöpft niederzusinken. Einstudiert wirkt das, ein bisschen wie Stuntman-Training für erste Filmproben.

Überhaupt probiert Alexander Scheer vieles aus an diesem Abend, schlägt Saltos, fängt Bürostühle mit dem Lasso ein, setzt Pointen auf den Punkt. Für seinen Othello am Hamburger Thalia Theater wurde er letztes Jahr für den deutschen Bühnenpreis nominiert, doch hier wirkt das Überdrehte ungeführt, artet in Solonummern aus. Die flutschen so dahin, und jeder Übergang wird dick mit Musik geschmiert. Auch eine Bühnenprügelei gibt es, und Kunstblut fließt, als Mays naiver Verehrer (Kristian Wanzl) hereinplatzt, um sie zum Kino auszuführen. Eddie bindet ihn am Bürostuhl fest, quält ihn ein bisschen.

„Hier geht keiner ins Kino. In der ganzen Stadt gibt es keinen einzigen Film, der interessanter wäre als die Geschichte, die ich euch erzählen werde“, sagt Eddie. Damit spielt der Autor auf das Konkurrenzmedium an, doch in dieser Inszenierung, die so sehr auf filmische Unterhaltungsmechanismen setzt, bleibt der Kommentar in der Luft hängen. Denn hier ist alles so handfest, so fern von Shepards Doppelbödigkeit, von der Frage nach dem Zusammenhang von Erzählung und Bewusstsein, dass sich weitere Ebenen erübrigen.

Wenn man diesen Abend im Renaissance-Theater sehen würde, hielte sich die Überraschung noch in Grenzen. Aber dass Philipp Reuter, der vor zwei Jahren zusammen mit Anne Tismer das Ballhaus als kreative Spielstätte im Osten lancierte, nun türenknallendes Boulevardtheater inszeniert, stimmt ein wenig nachdenklich. Denn hier rückt die Prenzlauer-Berg-Boheme auf einmal ganz nah ans Charlottenburger Unterhaltungstheater.

IRENE GRÜTER

Wieder im Ballhaus Ost, Pappel- allee 15, 22. und 26.–29. 9. um 20 Uhr