piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Gäste von der Bücherinsel

BUCHMESSE Verwunschene Seen, betrunkene Bewohner – unser Islandbild gehört überholt. Thomas Böhm hat das vor

Island auf der Buchmesse

■ Der Termin: Nächste Woche Mittwoch, am 12. Oktober, beginnt die Buchmesse in Frankfurt am Main. Sie dauert bis Sonntag. 7.500 Aussteller aus 110 Ländern werden erwartet, insgesamt rechnen die Veranstalter mit 280.000 Besuchern. In jedem Jahr wird ein Land mit seiner Literatur und Kultur besonders herausgestellt, in diesem Jahr ist Island Ehrengast der Messe.

■ Das Land: Island ist das kleinste Land, das je seine Literatur auf der Buchmesse präsentiert hat. Auf der Insel mit 320.000 Einwohnern kauft jeder im Schnitt acht Bücher pro Jahr. Schon ab 8.000 Exemplaren gilt ein Titel als Bestseller.

■ Das Rahmenprogramm: Neben Lesungen und Auftritten von Isländerinnen und Isländern gibt es in Frankfurt auch isländische Kunst zu sehen. Die Schirn Kunsthalle zeigt die Künstlerin Gabríela Frisriksdóttir aus, in dem Museum für angewandte Kunst wird unter dem Titel „Randscharf“ isländisches Design ausgestellt, in der Sachsenhausener Ausstellungshalle wird wiederum unter dem Titel „Design Zing“ isländisches Design verkauft. Das Architekturmuseum stellt isländische Architektur vor und der Frankfurter Kunstverein zeitgenössische Fotografie.

VON JÖRG SUNDERMEIER

Um die letzte Wohnstätte eines isländischen Saga-Helden zu sehen, ist Thomas Böhm auf die Felsen auf der Insel Drangey geklettert, die 180 Meter steil aus dem Meer herausragen. „Ich habe wenig Isländer getroffen, die schon auf Drangey waren. Aber ohne diesen Aufstieg, den Blick von da oben in den Fjord und in den offenen Atlantik hätte etwas gefehlt“, sagt er.

Thomas Böhm, 1968 geboren, ein baumlanger Kerl, hat sich in den letzten Jahren in alle Winkel der isländischen Literatur vorgearbeitet. Er fror im Eis und flog vor Aschewolken speienden Vulkanen davon. Böhm ist ein entschlossener Lobbyist für isländische Schriftsteller und Sagen in Deutschland seit klar ist, das der Inselstaat in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird. Die Organisation „Sagenhaftes Island“, bei der er seit 2010 der deutsche Programmleiter für Literatur ist, kümmert sich um den Messeauftritt. Vielen isländischen Büchern verhalf Böhm noch zu einer Veröffentlichung in Deutschland, als die Verlage ihre Planungen eigentlich bereits abgeschlossen hatten.

Die Krise hätten wir Island gar nicht zugetraut

Die isländische Literatur kann Fürsprecher wie ihn gebrauchen. Das Land hat den höchsten Pro-Kopf-Buchbedarf aller Nationen, und die isländischen Sagas – zur Buchmesse das erste Mal in Gänze übersetzt – dürften für die europäische Kultur den gleichen Stellenwert haben wie die antiken Texte aus Rom und Athen. Trotzdem hielt sich im Rest Europas lange Zeit das Bild eines seltsamen Landes mit noch seltsameren Bewohnern.

1613 erschien Hieronymus Megisers Buch „Septentrio Novantiquus – Oder die newe NortWelt“, in dem sich der Holländer Diethmar Blefken über Island äußert. Man las dort seinerzeit erstmals einen längeren Text auf Deutsch über dieses merkwürdige Land. Blefken hatte viel zu berichten: „Gegen Niedergang dieser Insul ist ein grosser rauchiger und sehr kalter See / welcher alles / das so darein geworffen wird / in Stein verwandelt.“ Wenn man Holz in den Seegrund stecke, werde das Stück im Boden nach zwei Tagen zu Eisen.

Von den Bewohnen wusste Blefken nicht nur zu sagen, dass sie so hässlich seien, dass man Frauen und Männer nicht unterscheiden könne, sondern auch, dass sie sehr trinkfest erschienen: „Ich hab ein Isländer gesehen / der eine Hamburgische Tonnen voll Bier so leichtlich an den Mund hielt / und daraus tranck / als wann er nur ein Kannen hette in der Hand gehabt.“

Dieses Bild von Island hielt sich hierzulande, da nur wenige schriftkundige Deutsche nach Island reisten, bis hinein ins 19. Jahrhundert. Und im Grunde ist das Bild bis heute davon geprägt: die Islander haben Geysire, karges Land, es wohnen dort mehr Elfen als Menschen, es ist monatelang dunkel, alle sind verrückt. Daher waren alle verwundert, dass Island in der Lage war, in der Finanzkrise eine wesentliche Rolle zu spielen. Als Wirtschaftsfaktor hatte das Land kaum jemand auf dem Schirm gehabt.

Das romantische Islandbild, das die Insel für viele überhaupt erst anziehend macht, gilt es also zurechtzurücken. Die Bewohner selbst haben ein großes Interesse daran – obschon sie selbstverständlich gegen den Tourismus nichts einzuwenden haben. Kurzum, die Isländer wollen via Deutschland den Platz einnehmen, der ihnen in der europäischen Kultur gebührt. Als Buchland tun sie dies naheliegenderweise durch Literatur. Und mithilfe von Leuten wie Thomas Böhm, seinen Kollegen und Halldór Gusmundsson, dem Direktor der Organisation.

Im Neuerscheinungskatalog, den „Sagenhaftes Island“ herausgibt, finden sich auf über 60 Seiten über 200 Titel, die zur Messe erschienen sind, moderne Klassiker wie die Bücher der Schriftsteller Halldór Laxness oder Gunnar Gunnarsson, kommende Klassiker wie die Romane von Hallgrímur Helgason, Sjón und Pétur Gunnarsson, Sagas, Gedichte, Theatertexte, Lebensberichte und auch Biografien, etwa über die radikalpazifistische Feministin Vigdís Finnbogadóttir, die das erste demokratisch gewählte weibliche Staatsoberhaupt weltweit war.

Bevor Thomas Böhm zur isländischen Literatur kam, war er seit 1999 damals jüngster Programmchef eines deutschen Literaturhauses in Köln. Er veröffentlichte diverse Bücher und legte mit Klaus Sander vom Audioverlag supposé eine Hörreihe auf, bei der berühmte Schreibende – Peter Kurzeck, Herta Müller, Dieter Wellershoff – ohne Manuskript aus ihrem Leben erzählen und so neue, nur hörbare Literatur entstehen lassen. Nach der Buchmesse wird er nur eine kurze Zeit haben, um einmal zur Ruhe zu kommen. Er wird ab dem kommenden Jahr die Programmleitung des Internationalen Literaturfestivals Berlin innehaben.

Blick auf die Aschewolke aus dem Fliegerfenster

Böhm ist einer, der seinen Job gut macht. Und mit Liebe. So spricht er über die Kenningar – eine altnordische Metaphernform, und man kann nicht anders als glauben, dass seine Begeisterung echt ist. Denn er reißt mit.

Die Erklimmung des Steilfelsens auf der Insel Drangey zur Wohnstätte des Saga-Helden Grettir war Teil seiner physischen Vorbereitung auf Island. 2009 reiste Thomas Böhm mit Klaus Sander vom Audioverlag supposé für das Projekt „Die Saga-Aufnahmen“ auf die Inseln. Die zwei CDs, die dabei entstanden sind, widmen sich der Präsenz der Isländersagas in Sprache, Kultur und Alltag des Landes. Für ihre Aufnahmetouren ließen sie sich von Isländern die Sagas an den Originalschauplätzen erzählen und sprachen mit Wissenschaftlern über die Hintergründe der Geschichten. Es war das teuerste bisherige Projekt des Audiolabels. Eine Lektion in Mut und Durchhaltevermögen. Viele Aufnahmen fanden bei eisiger Kälte statt.

Ein Besuch endete just an dem Tag, als der Eyjafjallajökull ausbrach und den Flugverkehr in Europa lahmlegte. Böhm und Sander sahen die aufsteigende Aschewolke aus dem Fenster des letzten Fliegers, der die Insel damals Richtung Europa verließ. In den darauffolgenden Tagen war Island Nachrichten- und Gesprächsthema. Das erreicht Böhm nun wieder. Ohne Aschewolke, mit Buchseiten.