: Hysterie wegen ein paar Flocken
WEISS Es sollte der schlimmste Schneeblizzard aller Zeiten in New York werden. Stattdessen brachte Wintersturm „Juno“ doch nur ein bisschen Pulverschnee
AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN
„Bereitet euch auf das Schlimmste vor“, hat Bürgermeister Bill de Blasio gesagt. Die Fernsehsender der USA, die alle mit großen Studios in Manhattan vertreten sind, haben den „Schneeblizzard“ weltweit zur Hauptnachricht gemacht. Und die New YorkerInnen sind einkaufen gegangen. Mich eingeschlossen.
Ein paar Stunden vor Einsetzen des Fahrverbots bin ich in dem Supermarkt am Malcolm X Boulevard. Wo sonst nie mehr als zwei Leute vor der Kasse warten, stehen 15 KundInnen vor mir. „Ich bin für eine Woche eingedeckt“, sagt eine von ihnen. In ihrem Einkaufswagen stapeln sich Nudeln, Konserven mit Soßen, Öl, Chips und Softdrinks.
Am Morgen danach glänzt New York in Weiß. Keine Spur von dem angekündigten „historischen Rekordschneefall“. Statt der angekündigten 90 Zentimeter Schnee sind ein Dutzend Zentimeter gefallen – lockerer, trockener Pulverschnee. Er bedeckt Bürgersteige und parkende Autos sowie die seit Sonntag nicht mehr abgeholten Müllsäcke, die sich am Straßenrand stapeln. Der Schnee ist zu luftig, um auf den Ästen der Bäume haften zu bleiben. Das ist ein Glück. Andernfalls würden heute wieder einstürzende Bäume die oberirdisch verlaufenden Stromleitungen herunterreißen und ganze Stadtteile vom Netz kappen. „Wenn Sie flackernde Lichter haben, rufen Sie uns an“, hat der Elektrizitätsversorger Conedison vorsorglich seine KundInnen gewarnt.
Die Fahrbahn der kleinen Seitenstraße ist geräumt. In der Nacht sind beinahe stündlich Räumfahrzeuge durch die Straßen von New York gefahren. Es sind Müllwagen, vor deren Kühler Schneeschippen montiert wurden. Anders als die US-Hauptstadt Washington, die nach einem Rekordschneefall im Winter 2010 tagelang dichtmachen musste, weil sie kein Werkzeug hatte, um zu räumen, ist New York auf Schnee vorbereitet. Dank des vom Bürgermeister zwischenzeitlich verhängten Fahrverbots – und 300 Dollar hohen Geldstrafen in New York – haben die Schneeräumfahrzeuge völlig freie Fahrt.
Zusätzlich zu dem weißen Glanz herrscht am Morgen danach ungewöhnliche Ruhe in New York. Alle drei Flughäfen sind geschlossen, Tausende Flüge gecancelt. Der Bürgermeister hat auch das U-Bahn- und Busnetz sowie sämtliche Schulen zugemacht. Konferenzen am Montagabend und am Dienstag werden abgesagt. Und die UN schließen ihre Türen schon am Montagnachmittag. Am Dienstagmorgen liegen keine Zeitungen auf den verschneiten Stoops vor den Häusern. Bloß die Wall Street hat vorab trotzig angekündigt, dass man weiterarbeite.
Am Dienstagmorgen lassen alle Fernsehsender ReporterInnen mit Mützen aus dem Schnee berichten. Auf CBS findet eine Reporterin eine Schneewehe, die ihr bis an den Oberschenkel reicht.
Als klar ist, dass der Schneefall nicht ungewöhnlich und schon gar nicht katastrophal war, wird in New York am Dienstag der Shutdown beendet.
In den umliegenden Gebieten längs der Ostküste kommt der nächtliche Schneefall den Prognosen indes näher. Blizzard „Juno“ hat ein Gelände von New Jersey bis hoch nach Maine erfasst. Der Gouverneur des größten Bundesstaates in der Mitte dieses Gebiets, Andrew Cuomo, ist der erste Politiker, der einen Zusammenhang mit der Klimaveränderung herstellt. Bei einer Pressekonferenz beschreibt er sich als den ersten Gouverneur in der Geschichte von New York, der so viele Wetterkatastrophen erlebt. Den Hurrikan „Sandy“, den Schneefall Ende letzten Jahres, bei dem die Stadt Buffalo binnen weniger Stunden unter sieben Fuß Schnee versank, und jetzt Juno.