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Archiv-Artikel

Remake, remodel

Die Volksbühne startete mit einem fast nostalgischen Abend die Konzertsaison: Rechenzentrum und Christian Fennesz spielten gediegene Elektroakustik und gaben dem Auslaufmodell VJ eine Chance

VON ANDREAS HARTMANN

Der Videojockey, der Einfachheit halber auch VJ genannt, kommt einem heute vor wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Vor ein paar Jahren noch stand er in der Clubkultur hoch im Kurs. Neben dem Plattendreher war sein Arbeitsplatz, und er entwarf mit Hilfe von Software die Visuals, die irgendwo im Tanzsaal vor sich hin flackerten und in denen Szenen aus Computerspielen in startende Raketen gemorpht wurden. Oder George Bush von Biene Maja umflogen wurde. So was halt. Hauptsache: bunt, wild und verrückt. Mindestens so, wie auch die Party sein sollte. VJ-Teams wurden gegründet, und sogar auf Viva lief eine Zeit lang eine „DJ trifft auf VJ“-Reihe. Heute gibt es nachts auf Viva Telefonratespiele, und der DJ kommt in den Clubs auch ohne einen Bildermacher aus.

Wie eine Reminiszenz an vergangene Zeiten also wirkte der Montagabend in der Volksbühne mit den Auftritten von Hauschka, Rechenzentrum und Christian Fennesz, die ihre jeweiligen VJs mit auf die Bühne holten, damit jeder sehen konnte, dass es auch weiterhin nichts zu sehen gibt, wenn VJs hinter ihren Gerätschaften in Echtzeit und natürlich in Interaktion mit der Musik Bilderloops erstellen. Bei Rechenzentrum aus Berlin gehen Bilder und Musik seit Bestehen eine Symbiose ein. Als sich das Duo aus Marc Weiser und Lillevän vor zehn Jahren gründete, war der Witz daran, dass man von ihnen das eine nicht ohne das andere haben konnte. Bilder zur Musik oder umgekehrt, das war bei ihnen nie die Frage, weswegen auch ihre neue Platte „Silence“ konsequenterweise keine CD, sondern gleich eine DVD ist.

Im Gegensatz zur Besichtigung des neuen Werkes auf dem Bildschirm ist es allerdings weit interessanter, wie sich Rechenzentrum inzwischen musikalisch live aufstellen. Auch wenn Lilleväns Videokunst nun angeblich von einem russischen Ikonenmaler inspiriert ist, dem bereits Andrei Tarkowsky einen Film gewidmet hatte – die abstrakt fließenden Gemälde in Schwarzweiß bildeten zumindest in der Volksbühne doch eher den Hintergrund, vor dem sich Rechenzentrum nun als richtiggehend elektroakustisches Ensemble präsentierten. Weiser, der auch Mitglied von Zeitkratzer ist, hat Teile dieser aufregenden Experimentalband dazu eingeladen, nun auch das Rechenzentrum zu remodeln. So saß Zeitkratzer-Chef Reinhold Friedl vor seinem präparierten Piano, Franz Hautzinger spielte die gestopfte Trompete, und die Beats kamen nicht mehr nur aus der Kiste mit dem Apfellogo, sondern von einem echten Schlagzeuger. Das wirkte erst einmal erfrischend.

Aber richtig was passiert ist dann doch nicht. Die Zeitkratzer-Musiker agierten enttäuschenderweise nicht gegen die Elektronik, sondern ordneten sich ihr unter, rissen Strukturen nicht auf, sondern kleisterten sie zu. So klang es meist wie beim norwegischen Schöngeist-Trompeter Nils Petter Molvaer schon vor ein paar Jahren. Vielleicht hatte man Angst, dem Ikonenmaler nicht gerecht zu werden, und ließ deshalb keinen Augenblick die demonstrative Kunstsinnigkeit hinter sich.

Wer zu diesem Zeitpunkt schon weggedämmert war, der wurde dann von Fennesz’ Gitarreneruptionen ziemlich unsanft geweckt. Fennesz solo gab es, also einen Gitarristen, der dem reinen Klang seines Instruments schon lange misstraut und dessen Töne deswegen so exzessiv durch seinen Laptop jagt, dass einem Hören und Sehen vergeht. Apropos: Zu sehen gab es dieses Mal die Visuals eines gewissen Charles Atlas, in denen menschliche Körper von Computereffekten verfremdet wurden, was nur bedingt mit der mächtigen, teils schmerzend lauten Musik von Fennesz zu tun hatte. Wenigstens ließ der sich von der Schulterzucken auslösenden Videokunst nicht aus dem Konzept bringen. Schloss man die Augen, war sein Sinnes-Flächenbombardement ein echter Genuss.