: Grau statt Glitzer
Sie geben nicht auf: Unterstützer der Arbeiter, die beim Bau der Mall of Berlin um ihren Lohn geprellt worden sein sollen, protestieren am Donnerstag auf dem Leipziger Platz
■ Donnerstag, 29. Januar „Pay the workers!“ Protestkundgebung von Arbeitern und Unterstützer*innen vor dem Einkaufszentrum, 18 Uhr, Mall of Berlin, Leipziger Platz 12 ■ Mittwoch, 4. Februar Ab 14 Uhr ist eine Kundgebung am Potsdamer Platz geplant, vor dem Sitz der Metatec-Fundus GmbH, einem der beiden Subunternehmen. ■ Weitere Zukunft Eine größere Demo folgt in den kommenden Wochen berlin.fau.org
Weihnachten ist vorbei, die Tablets, Ohrringe und Handtaschen sind verschenkt. Doch der Grauschleier, der sich über die Glitzerwelt der Mall of Berlin gelegt hat, ist noch nicht verzogen. Rumänische Arbeiter sollen beim Bau des Einkaufszentrums um einen Teil des vereinbarten Lohns geprellt worden sein. Unterstützt durch die „Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) Berlin“ fordern sie das restliche Geld ein. Für diesen Donnerstag ruft die Splittergewerkschaft zu einer Kundgebung auf.
„Wir protestieren gegen die Ausbeutung von Arbeitern in der ‚Mall of Shame‘“, sagt FAU-Sprecher Stefan Kuhnt. Unter dem Spitznamen mobilisiert die Gewerkschaft gegen unfaire Arbeitsverhältnisse beim Bau des Shoppingcenters am Leipziger Platz, das im September 2014 öffnete. Ohne die Bauarbeiter aus Rumänien wäre es wohl nicht pünktlich zum brummenden Weihnachtsgeschäft fertig geworden.
Der Vorwurf der FAU: Zwei Subunternehmen hätten die Arbeiter aus Rumänien für einen Stundenlohn zwischen fünf und sechs Euro schuften lassen – und diesen geringen Lohn noch nicht einmal vollständig ausgezahlt. Die Gewerkschaft fordert nicht nur „die lächerlichen fünf bis sechs Euro Stundenlohn“. Sie will für die Arbeiter den gesetzlichen Mindestlohn erkämpfen, der im Baugewerbe schon seit Langem gilt und im vergangenen Jahr bei etwa 11 Euro lag. Die beteiligten Firmen weisen die Verantwortung für ausstehende Lohnzahlungen jedoch von sich.
Der Streit wird nun auch mit rechtlichen Mitteln ausgetragen. Mall-of-Berlin-Unternehmer Andreas Fettchenhauer setzte eine einstweilige Verfügung gegen die FAU Berlin durch. Die darf nun nicht mehr behaupten, mit seiner Firma in einem Arbeitskampf zu sein. Andernfalls drohen der FAU eine 250.000-Euro-Strafe und den Mitarbeitern Haft.
Die FAU bereitet den Widerspruch vor, sagte Kuhnt der taz. Zudem habe sie Strafanzeige gegen die beiden Subunternehmen sowie gegen Fettchenhauer eingereicht. Doch nicht nur mit den Baufirmen legt sich die FAU an, auch mit den Kollegen beim Deutschen Gewerkschaftsbund liegt sie im Clinch. Nach Lesart der FAU hat der DGB den Protest der Bauarbeiter „okkupiert“. Immer wieder habe der mittlerweile aus dem Dienst ausgeschiedene DGB-Sprecher Dieter Pienkny Medien gegenüber den Eindruck erweckt, der DGB würde sich für die Arbeiter einsetzen. Dies sei nicht der Fall.
Der DGB hatte den Fall ursprünglich öffentlich gemacht. Nun sei er aber inaktiv, wirft die FAU dem Dachverband vor. Auch habe der DGB in öffentlichen Statements die Rolle der FAU stets verschwiegen.
„Beim DGB sehen sie die FAU als Konkurrenz, wenn nicht sogar als Feind“, sagt Kuhnt, betont aber, dass man an der Basis einen sehr guten Kontakt pflege. „Das Problem ist die Chefetage.“ Der DGB war auf mehrfache Anfrage der taz für eine Stellungnahme zum Streit über die Mall nicht zu gewinnen.
Die FAU versteht sich als „klassenkämpferische“ Basisgewerkschaft und hat die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zu ihrem Ziel erklärt. Sie tritt aggressiver auf als die etablierten Gewerkschaften, die im DGB vertreten sind, und steht in einer langen anarchosyndikalistischen Tradition. Nach dem Ersten Weltkrieg zählte die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) zwischenzeitlich 150.000 Mitglieder. Nachdem sie sich 1933 auflösen musste, wurde sie 1977 als FAU wiedergegründet. Der Verfassungsschutz warf der Gruppe jüngst vor, den gewerkschaftlichen Protest für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren.
Die Berliner FAU sorgte 2009 im Lohnkonflikt mit dem Kino Babylon in Mitte für Schlagzeilen. Die Geschäftsführung wollte mit der FAU nicht verhandeln. Die Gruppe sei keine Gewerkschaft, so die Begründung. Per einstweilige Verfügung wurde der FAU verboten, sich Gewerkschaft zu nennen. In zweiter Instanz konnte sich die FAU jedoch gegen die Verfügung wehren und darf sich seither wieder Gewerkschaft nennen.
Die FAU betont, nicht gegen andere Gewerkschaften zu agieren, sondern zusammenarbeiten zu wollen. Der DGB hat sich den Protestaufrufen gegen den womöglichen Lohnbetrug beim Bau der Mall of Berlin jedoch nicht angeschlossen, obwohl er die Anliegen der Arbeiter grundsätzlich zu teilen scheint.
JANNIS HAGMANN