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Archiv-Artikel

„Das Schulessen überzeugt kaum jemanden“

Verkochtes Essen und Zeitdruck: Untersuchungen der Universität Göttingen offenbaren massive Mängel bei der Schulverpflegung. Der Ernährungsexperte und Agrarökonom Achim Spiller macht Verbesserungsvorschläge

ACHIM SPILLER, 43, ist Professor und forscht zum Thema Lebensmittelqualität.

taz: Herr Spiller, Sie bemängeln die Qualität der Schulspeisung?

Achim Spiller: Ja, die ist nicht besonders gut. Das Essen wird häufig zwei bis drei Stunden warm gehalten. Um eine gesunde Ernähung zu gewährleisten, sollte aber eine halbe Stunde nicht überschritten werden. Sonst gehen die Vitamine verloren. Dazu kommt auch, dass die Schüler meistens kaum Auswahlmöglichkeiten haben, sondern fertige Menüs erhalten. Das überzeugt natürlich kaum jemanden. Dementsprechend bekommt das Essen in Schulen von den Schülern unglaublich schlechte Noten. Eine Umfrage ergab eine 3,1 im Durchschnitt.

Es ist aber nicht nur die Qualität allein, die dafür verantwortlich ist?

Genau, denn noch schlimmer wird es natürlich durch Essensräume ohne jegliche Atmosphäre oder Zeitdruck während der Mahlzeit. So lassen sich die Schüler nicht erreichen. Doch das ist leider häufig die Regel.

Welche Konsequenzen hat das?

Die Schüler nehmen die Schulspeisung schlecht an und holen sich ihr Essen lieber vom Imbiss. Die fünften und sechsten Jahrgänge sind noch recht dankbar, ab Klasse sieben beteiligen sich in vielen Schulen aber nur etwa zehn Prozent am gemeinsamen Essen. In Extremfällen nur noch ein bis zwei Prozent.

Wie kann sich das ändern?

Ich halte nichts von einer Essensverpflichtung, wie sie zum Beispiel in Bremen angedacht wird. Vielmehr müssen die Schulen durch Leistung überzeugen. Sie müssen gutes Essen praktisch vermitteln. Dafür benötigen die Schulen aber eine kompetente Beratung.

Wer soll diese Beratung übernehmen?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Teilweise gibt es schon Beratungen durch Catering-Unternehmen oder Ernährungswissenschaftler. Im Moment geht es für die Schulen nur um PISA und Bildung, möglicherweise könnte sich eine gute Ernährung der Schüler aber zu einem echten Konkurrenzfaktor für die Schulen entwickeln.

Wer soll die Kosten für die Schulspeisung übernehmen?

Sozial schwache Schüler müssen natürlich unterstützt werden. Hartz IV sieht im Moment 2,70 Euro pro Tag für die Ernährung eines Kindes vor. Das Essen in der Schule kostet aber allein schon rund 2,50 Euro. Das erscheint vielen Eltern zu teuer, auch denen, die nicht hilfebedürftig sind. Sie beziehen nur die Kosten für die Zutaten in ihre Kalkulation ein, die sie bräuchten, um ein Kind satt zu bekommen.INTERVIEW: JAN WEHBERG