Und weiterhin starre Fronten

STAATSBANKROTT Die Finanzkrise hat die Welt erschüttert. Und in den Wirtschaftswissenschaften denkt man in den gleichen Modellen wie zuvor

Die Deutschen haben Ängste, die anderen Europäern fast unbekannt sind. So sind sich immerhin 34 Prozent der Bundesbürger sicher, dass die Staatsschulden das größte Problem in Deutschland darstellen. In anderen Ländern ist man da deutlich gelassener. In Italien, Spanien oder Frankreich machen sich nur ganze 8 Prozent Sorgen um den Staatshaushalt, wie die Erhebung „Eurobarometer“ zeigt.

Die Ängste der Deutschen sind den heimischen Verlagen natürlich nicht entgangen – und so erscheinen immer neue Bücher, die sich mit dem nahenden „Schulden-Kollaps“ befassen. Dabei wird an Untergangsszenarien nicht gespart, die meist in dem Schreckenswort „Hyperinflation“ gipfeln, das Deutsche sofort an die Währungszusammenbrüche von 1923 und 1945 denken lässt.

Die Angst vor dem Staatsbankrott erscheint auch deswegen so plausibel, weil er nicht nur in Deutschland immer wieder vorgekommen ist. „Allein für die vergangenen 200 Jahre registrieren Ökonomen rund 320 Staatspleiten“, warnen der ehemalige FAZ-Journalist Hanno Beck und der Münsteraner Finanzprofessor Aloys Prinz, deren Koproduktion „Abgebrannt. Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps“ jetzt beim Hanser Verlag erschienen ist.

Um den drohenden Bankrott abzuwenden, sehen die beiden Autoren letztlich nur einen Ausweg: Der Staat muss seine Ausgaben kürzen – und zwar vor allem im Sozialbereich. Also bei den Renten, Pensionen und wohl auch bei Hartz IV. Das klingt herzlos, wie die beiden Autoren wissen, weshalb sie immer wieder betonen: „Wir glauben nicht, dass diese Ausgaben unnötig, sinnlos oder unwirtschaftlich sind.“ Aber Sozialtransfers würden eben nicht wie eine neugebaute Autobahn das Vermögen des Staates steigern. „Das Geld wird nicht investiert, sondern konsumiert.“ Und wenn der Staat auf den Bankrott zusteuert, dann sei der Konsumgürtel eben enger zu schnallen.

An Prinz und Beck erstaunt vor allem, wie eindimensional sie vorgehen. Der Staat hat Schulden – also muss der Staat seine Schulden wieder abbauen. Systemische Fragen werden nicht gestellt, obwohl doch offensichtlich ist, dass ein Systemproblem namens Finanzkrise die hohe Staatsverschuldung überhaupt erst ausgelöst hat. Doch die Ursachen dieser Finanzkrise werden völlig ausgeblendet – genauso wie die Tatsache, dass vor allem die Vermögenden von den anschließenden Rettungspaketen der Staaten profitiert haben. Die Verteilungsfragen werden schlicht ignoriert. Deswegen taucht ein naheliegender Gedanke bei Beck und Prinz überhaupt nicht auf: Um die Staatsschulden abzubauen, ließen sich ja auch die Steuereinnahmen erhöhen.

Man könnte die Vermögenden belasten, statt ausgerechnet bei den Armen und Rentnern zu kürzen. Ein historisch erfolgreiches Beispiel existiert bereits: Der „New Deal“, ab 1933 eingeleitet von US-Präsident Roosevelt, erhöhte den Spitzensteuersatz auf 79 Prozent und die Erbschaftsteuer auf bis zu 70 Prozent. Bekanntlich war dies nicht das Ende des Kapitalismus in den USA, sondern der Anfang eines beispiellosen Wirtschaftsaufschwungs.

Zudem müssten die Steuersätze diesmal gar nicht so hoch angesetzt werden, denn damals war ja auch noch ein zweiter Weltkrieg zu finanzieren. Wie ein neuer „New Deal“ konkret aussehen könnte, beschreibt der österreichische Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer in seinem Buch „Zahlen bitte. Die Kosten der Krise tragen wir alle“. Dort rechnet er unter anderem vor, dass allein eine Finanztransaktionsteuer von 0,05 Prozent auf alle Finanzgeschäfte bereits 100 bis 200 Milliarden Euro in die Kassen der EU-Länder spülen würde. Eine Vermögensteuer von 0,5 Prozent könnte ebenfalls hohe Milliardenbeträge erbringen.

Und was ist mit der „Hyperinflation“, die so viele Deutsche fürchten? Auch dort gibt Marterbauer Entwarnung. Es sei schlicht nicht denkbar, dass die Preise stark steigen, solange die Löhne fallen und die Fabriken nicht ausgelastet sind. Die Unternehmer sind froh um jeden Kunden – da sind eher Rabattschlachten zu erwarten und keine erhöhten Preise.

Die Finanzkrise war ein welterschütterndes Ereignis. Aber an den Fronten in den Wirtschaftswissenschaften hat sie nichts verändert. Neoliberale und Keynesianer stehen sich verständnislos gegenüber. Das dürfte auch bei allen anderen Büchern so bleiben, die zum deutschen Angstthema „Staatsbankrott“ noch erscheinen werden.

ULRIKE HERRMANN

Hanno Beck/Aloys Prinz: „Abgebrannt. Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps“. Hanser Verlag, München 2011, 288 Seiten, 19,90 Euro

Markus Marterbauer: „Zahlen bitte! Die Kosten der Krise tragen wir alle“. Deuticke Verlag, Wien 2011, 256 Seiten, 17,90 Euro