piwik no script img

Archiv-Artikel

„Klar mögen wir den roten Teppich“

DER KINOMACHER Wer Kino sagt, muss auch Hans-Joachim Flebbe sagen: Mit Programmkinos hat er seine Karriere begonnen, er war der Cinemaxx-König, mittlerweile hat er sein Herz an die alte Pracht des Kinos verloren. Ein Gespräch über den deutschen Film, die Berlinale und den ganz besonderen Reiz des Zoo Palasts

Hans-Joachim Flebbe

■ Der Mensch: Hans-Joachim Flebbe, Jahrgang 1951 und aufgewachsen in Hannover, steht vielleicht synonym für das, was man eine amerikanische Karriere nennt: Er hat den Weg vom Kartenabreißer zum Kinomillionär, zum „Kinokönig“ gemacht – dank seiner Leidenschaft für die Lichtspielhäuser und den Film und Dank einer guten Nase für das Geschäft.

■ Der Macher: Alles begann mit einem kleinen Programmkino in Hannover. 1973 stieg er im „Apollo“ als Programmmacher ein und zeigte dort Filmkunst. 1977 eröffnete er sein eigenes Kino. Als in den 1980er Jahren die Kinokultur durch die Schachtelkinos am Boden lag, gründete Flebbe gemeinsam mit anderen 1989 die Cinemaxx AG. 1991 öffnete das erste Cinemaxx-Kino in Hannover. Flebbe baute das Konzept zur wirtschaftlich erfolgreichsten Kinokette Deutschlands aus. Bis Mitte 2005 entstanden 45 Multiplexe mit über 350 Leinwänden, bis zu 20 Millionen Besucher jährlich kamen in die Häuser.

■ Der Palast: 2009 stieg Flebbe als Vorstand der Cinemaxx aus und suchte einen neuen Weg zum Filmkunst-Erlebnis. Er übernahm von Cinemaxx den damaligen Filmpalast Berlin am Kurfürstendamm und baute ihn zur Astor Film Lounge um. Neben anderen eröffnete er wieder traditionsreiche Häuser wie den 2013 neu eröffneten Zoo Palast, der auch dieses Jahr wieder Berlinale-Kino ist.

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGEr FOTOS DAVID OLIVEIRA

taz: Herr Flebbe, in Ihrer Freizeit trainieren Sie Langstrecke. Was ist Ihre Bestzeit im Marathon?

Hans-Joachim Flebbe: Ich bin sechs- oder siebenmal den Marathon gelaufen, darunter auch in Berlin. Die Zeit war so um die 4 Stunden 20. Im Marathon und in meiner Altersgruppe bedeutet das: geübter Freizeitläufer. Nicht optimal – aber ganz okay.

Sie leben in Hamburg. Udo Lindenberg hat kürzlich erzählt, dass er wie Sie ebenfalls um die Alster joggt. Sind Sie dem mal begegnet? Mit Hut und Sonnenbrille?

Nein. Ich trainiere frühmorgens. Lindenberg läuft abends oder nachts. Aber ich habe andere Promis beim Laufen getroffen: Ulrich Wickert, Beckmann oder Barbara Becker, die Exfrau von Boris Becker. Es sind pro Runde 7,5 Kilometer, und zur Einstimmung auf den Tag ist das ganz schön.

Berlin und Hamburg konkurrieren gerade um die Nominierung zu den Olympischen Sommerspielen 2024 oder 2028. Wo hätten Sie lieber den Marathon: an der Elbe oder an der Spree?

Ich bin für einen Kompromiss: Warum bewerben sich nicht beide Städte gemeinsam für die Spiele? Berlin und Hamburg können sich die Spiele teilen. Bestimmte Sportarten wie Segeln fänden sowieso außerhalb statt.

Etwas sehr diplomatisch ausgedrückt, oder?

Warum nicht? Aber so könnten beide Städte ihre Power kombinieren.

Über große Sportereignisse ist es gerade en vogue, Spiel- oder Dokumentarfilme zu drehen: „Deutschland. Ein Sommermärchen“, „Das Wunder von Bern“ oder „Nowitzki. Der perfekte Wurf“. Würden Sie in einer Sportfilmreihe auch Leni Riefenstahls „Olympia“-Filme von 1936 in Berlin zeigen?

Es kommt darauf an, welches Publikum ich ansprechen möchte. Wenn wir den Film etwa hier in der Astor Film Lounge spielen würden, liefe er vor einem filmhistorisch und künstlerisch interessierten Publikum und nicht vor einem, das nach Naziidolen und NS-Propaganda Ausschau hält. Unsere Kinobesucher sind 40 plus und haben einen cineastischen Anspruch. Vor diesem Publikum habe ich kein Problem, den Film zu zeigen. Der Riefenstahl-Film ist ja außerdem ein Dokument jener Zeit und ästhetisch sehr anspruchsvoll.

Aus Hamburg kennen Sie auch den Berlinale-Chef Dieter Kosslick, ehemals Leiter des Hamburger Filmbüros. Sie sind beste Freunde. Hat er Sie angefixt, den Zoo Palast wieder als Berlinale-Kino zur Verfügung zu stellen. Oder war das Ihr Wunsch?

Dieter Kosslick ist gewissermaßen der Pate des neuen Zoo Palasts. Es hat mit uns gemeinsam dafür gesorgt, dass das Kino als Spielstätte erhalten bleibt. Der Investor, die Bayerische Hausbau, hatte das gesamte Areal inklusive des Bikini-Hauses erworben und ursprünglich eine andere Idee für den Standort verfolgt: Büros oder Läden. Dies war wirtschaftlich interessanter als ein Kino. Aber dann haben Dieter Kosslick und das Land Berlin darauf hingewirkt, dass das Haus denkmalgeschützt und erhalten bleibt. Das Kino ist eine Ikone. Dass die Bayerische Hausbau mitgespielt hat, war ein starkes Statement zum Zoo Palast.

Kosslick ist doch als Fan des Potsdamer Platzes bekannt: Hut, roter Schal, roter Teppich. Warum am Zoo so ein Engagement?

Der Zoo Palast war bis zu seiner Renovierung kein Vorzeigekino mehr. Premieren feiern war nicht denkbar. Jetzt ist das anders, und Dieter Kosslick ist sicher jemand, der den Rahmen und das Umfeld, das der Zoo Palast wieder bietet, für das Festival als nützlich empfindet. Dennoch wird der Potsdamer Platz mit dem Musical-Theater für die großen Events der Hauptstandort der Berlinale bleiben.

Sie können es ruhig zugeben: Sie spekulieren doch insgeheim auf ein Comeback des roten Teppichs samt der Stars am Zoo Palast? Vorvergangene Woche ist im Zoo Palast schon mal dafür geübt worden mit Johnny Depp und der Deutschlandpremiere für seinen Gaunerfilm „Mortdecai“.

Klar mögen wir den roten Teppich. Aber die Berlinale braucht den größtmöglichen Saal, und den haben wir nun mal mit rund 800 Plätzen im Hauptsaal nicht.

Welchen Stellenwert hat denn der Zoo Palast für Sie im Berlinale-Rummel?

Die Besucherzahlen der Berlinale sollen im vergangenen Jahr um über 10 Prozent zugelegt haben. Dieter Kosslick macht dafür auch den neu belebten Zoo Palast als Standort verantwortlich.

Besuchen Sie die Filmfestspiele?

Sehr selten, leider fehlt mir dafür die Zeit.

Sind eigentlich Festivals wie die Berlinale noch zeitgemäß? Blockbuster sind Selbstläufer mit Millionenetats für die Reklame, die kleinen Filme gehen mit – oder unter.

Festivals sind nach wie vor ein ganz wichtiges Schaufenster für neue Produktionen und Trends. Und für eine Stadt wie Berlin bedeutet die Berlinale, dass hier der Film, die Macher und die Stars zwei Wochen im Mittelpunkt stehen. Das tut der Branche sowie der Stadt gut und rückt auch das Kino als Ort wieder ins Bewusstsein. Es fehlt heute an Mut und Risiko auf dem Kinomarkt – schon darum ist ein Festival wie die Berlinale wichtig, weil dort auch mal Außenseiter präsentiert werden, die sonst links liegen bleiben.

Wann haben Sie sich eigentlich in den Zoo Palast verliebt? Was ist so attraktiv an dem Kino?

Ich habe den Zoo Palast bereits in den 1980er Jahren einmal betrieben. Es gab den alten Kinobesitzer: Max Knapp, ein Unikum. Den habe ich eineinhalb Jahre bekniet, dass er mir den Zoo Palast gibt. Ich bespielte schon einige Ku’damm-Kinos, aber der Zoo Palast war mein Traum seit meinen Anfangszeiten. Er war Premierenkino und das führende deutsche Kino, hatte einen wunderschönen Kinosaal. Wahnsinn, dass ich hier einmal Chef sein würde.

Die Kinos Gloria, Gloriette, Lupe, das alte Astor am Ku’damm haben schließen müssen. Was macht Sie sicher, dass der Kinopalast am Zoo es schafft?

Kinos in der Innenstadt sind aufgrund der hohen Mieten schwierig wirtschaftlich zu betreiben. Aber: Zum einen steht der Zoo Palast unter Denkmalschutz. Zum anderen war der Hausbesitzer selbst davon überzeugt, dass ein renoviertes Kino im Stil der 50er Jahre und ein neues Kinokonzept besser ist als Benetton oder H&M.

Tolle Kinoarchitektur ist kein Garant für volle Sitzreihen.

Die Berliner lieben den Zoo Palast. Es besteht eine hohe emotionale Bindung an das Haus und den Standort. Ich kenne deutschlandweit kein Kino, das so beliebt und so bekannt ist. Der Zoo Palast ist wie Angela Merkel: Kennt jeder. Das liegt an der Geschichte und Tradition. Die Architektur des großen Saals ist ein Traum für alle Besucher. So muss ein Kino aussehen.

Aber seit den 1990er Jahren gehen in der City West die Lichter aus, die Geschäfte machen dicht. Haben Sie keine Zweifel, dass dieser Abwärtseffekt auch den Zoo Palast erfasst?

Nein. Mein Bauchgefühl hat gesagt: Mach das! Wir haben viel Geld investiert für die Renovierung, und ich denke, wir können das wieder zurückverdienen. Der Hotspot von Berlin ist der Standort sicher nicht. Für mich aber war und ist diese Ku’damm-Ecke nicht tot. Das 25 Hours brummt, das Bikini läuft jetzt an. Es wird gebaut. Meine Frau und ich waren als gelegentliche Berlinbesucher natürlich am Hackeschen Markt oder in der Friedrichstraße, aber wir sind auch immer in der City West gewesen. In Charlottenburg leben zudem die Leute, die unser Publikum sind.

Wie viele sind 2014 gekommen?

Wir wollten 600.000 Besucher im Zoo Palast erreichen. Aufgrund der Fußball-Weltmeisterschaft haben wir dieses Ziel knapp verfehlt.

Ihr aktuelles Kinokonzept lautet „Wohlfühl-Filmtheater“ à la Astor Film Lounge und „Das Kino kommt zurück“, so der Untertitel für den Zoo Palast. Wie kommt man denn auf eine so gruftige Idee wie die Renaissance des Kinos?

Für mich ist das konsequent nach den Zeiten des Programmkinos und des Cinemaxx. Ich denke, ich schließe eine Lücke für ein bestimmtes Publikum meiner Generation, die von herkömmlichen Kinos nicht bedient wird. Cinemaxx und andere Großkinoketten sind globale Wirtschaftsunternehmen, wo es um Gewinne und um sonst nichts geht. Das interessiert mich heute nicht mehr. Ich will gute und unterhaltsame Filme zeigen, die mir Spaß machen und die in einem besonderen Ambiente gezeigt werden: in Kinopalästen mit schöner Architektur, mit Komfort – das Publikum hier mag das. Wir sehen das in Berlin, Köln oder Hannover in den Astor-Kinos. Insgesamt gibt es zwar noch immer einen Rückgang bei den Kinobesucherzahlen in Deutschland. Mein Ziel ist, die Besucher wieder zurück ins Kino zu holen und sie hier zu begeistern.

Laut den aktuellen Daten der Filmförderungsanstalt FFA kommen die Kinobesucher nicht zurück: 2012 gingen 132 Millionen Besucher in deutsche Kinos, 2013 waren es 127 Millionen, und 2014 soll es noch einmal ein Minus von 5 bis 10 Prozent gegeben haben.

Das stimmt, trifft aber nicht auf unsere Häuser zu. In den Astor-Kinos hatten wir zum Teil zweistellige Zuwächse. Den anderen Kinos fehlen die jungen Zuschauer, daher resultieren die Rückgänge. Diese Zielgruppe hat keine Probleme damit, Filme auf dem Laptop, als DVD oder sonstwie zu konsumieren. Die gehen nicht mehr ins Kino, es sei denn, ein ganz großer Film wie „Hobbit“ kommt, den man gesehen haben muss. Diese Gruppe hat früher 80 Prozent der Besucher ausgemacht, heute ist es die Hälfte.

Also: Cinemaxx ist out?

Nein, Multiplexe sind noch immer Marktführer. Das war damals und ist bis dato für das junge Publikum, mit großen Leinwänden, guter Technik, Popcorn und Party beim Kartenkaufen genau das Richtige. Die cineastische Generation aber will nicht, dass ihr Platz mit Popkorn verdreckt ist und der Fußboden klebt.

„Mein Ziel ist, die Besucher wieder zurück ins Kino zu holen und sie hier zu begeistern“

Aber im Zoo Palast gibt’s noch Popcorn – wie im Cinemaxx.

Tja. Das haben meine Mitarbeiter mir geraten. Nachos sind aber tabu.

Sehen Sie sich eigentlich selbst noch immer als cineastischen oder pädagogischen oder hauptsächlich als geschäftstüchtigen Programmmacher?

Ich habe alle drei Spielarten durch: Ich habe als Programmkinomacher mit cineastischem und politischem Auftrag begonnen. Dazu gehörten etwa Filmreihen aus Lateinamerika. Dann habe ich lange Zeit als Vorstand der Cinemaxx-Aktiengesellschaft das Geschäftliche in den Vordergrund gestellt. Da ging es um Zahlen. Und jetzt mache ich „Kino mit Herz“ in den Kinos der Astor-Gruppe, spiele schöne Filme, und meine Frau hilft bei der Filmauswahl.

Kaum vorstellbar, dass der einstige Kinokönig, der mit Millionen balanciert und 45 Multiplexe betrieben hat, nicht selbst aufs Programm schaut?

Bei uns wird das Programm im Team ausgesucht. Meine Frau besucht die Pressevorstellungen und Filmmessen. Ich bin eher mit Architekten und Projektentwicklern im Gespräch, um mit denen alte Kinopaläste zu suchen und umzugestalten.

Sie haben einmal gesagt, „der Erfolg des deutschen Kinos ist abhängig von der Qualität der deutschen Filme“. Ist man nicht erfolgreicher mit US-Blockbuster im Programm?

Erfolgreiche Kinojahre in Deutschland hatten wir immer dann, wenn auch der deutsche Film beim Publikum angekommen ist und der deutsche Marktanteil bei rund 25 Prozent lag. Daran hat sich nichts geändert seit Werner Herzog, Wim Wenders oder Fassbinder oder heute mit Til Schweiger.

Finden Sie eigentlich 7 bis 9 Euro für eine normale Kinokarte okay? In der Astor Film Lounge verlangen Sie mehr – 15 Euro.

Sicherlich ist der Eintrittspreis in der Astor Film Lounge höher. Dafür bieten wir auch mehr Qualität und Service. Das rechtfertigt den Preis und wird von den Besuchern akzeptiert. Im Vergleich zu andern Ländern ist Deutschland ein billiges Kinoland.

Sie gelten als „der mit dem goldenen Händchen“ in der Branche? Was kommt nach der Astor Film Lounge? Regie?

Ich habe im Laufe meiner Karriere in allen Sparten der Filmindustrie Erfahrung gesammelt. Ich habe Filme produziert, hatte einen Filmverleih und alle Kinovarianten mitentwickelt. Jetzt konzentriere ich mich darauf, alten Filmpalästen die Seele wiederzugeben.

Vor der Zeit als Cinemaxx-König haben Sie mit Programmkinos Ihre Karriere begonnen. Hängt Ihr Herz noch daran?

In Berlin mag ich noch immer das Delphi oder das Kant-Kino. Das sind schöne Kinos, die Charakter haben. Nicht umsonst haben die überlebt und allen Krisen getrotzt. Schade ist, dass die Kurbel verschwunden ist.