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Archiv-Artikel

Lösegeld sorgt für neuen Zoff

VERBRECHEN 15 Jahre liegt die Entführung des Hamburger Mäzens Jan Philipp Reemtsma zurück. Nun steht sein damaliger Kidnapper Thomas Drach wieder vor Gericht: Wegen der Erpressung seines Bruders, der Drach zufolge das Lösegeld verprasst habe

„Der Endpunkt war auf einem Feld, wo wir das Auto mit dem Lösegeld stehen lassen sollten, um ins Dorf zurückzugehen“

Pastor Christian Arndt, Lösegeldüberbringer

VON MAGDA SCHNEIDER

Wenn Pastor Christian Arndt auf den April 1996 angesprochen wird, blockt er erst mal ab. „Das ist alles 15 Jahre her. Das hab’ ich alles total verdrängt.“ Nach einigen Minuten fängt er dann doch an zu reden. „Die waren auf die Situation überhaupt nicht vorbereitet und überfordert“, sagt Arndt über die Entführer.

Arndt war der Geldüberbringer: Am 24. April 1996 übergab er an der Polizei vorbei 30 Millionen D-Mark Lösegeld an die Entführer des Hamburger Multimillionärs Jan Philipp Reemtsma. Woraufhin dieser nach 33 Tagen Geiselhaft aus dem Keller eines Hauses in Garlstedt bei Bremen freikam. Einer der Entführer steht seit dem heutigen Donnerstag erneut vor Gericht: Thomas Drach – wegen erpresserischen Menschenraubes zu vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, aus dem Gefängnis zusammen heraus mit einem Komplizen die Erpressung seines eigenen Bruders geplant zu haben – um rund 30 Millionen Euro. Nach Darstellung des Angeklagten hatte sein Bruder, der selbst im Mai 2009 aus dem Gefängnis gekommen war, Teile des Reemtsma-Lösegeldes bei der Geldwäsche „zweckentfremdet“ und „verschwendet“.

Die Entführung des Kulturmäzens am 25. März 1996 von seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese hat Geschichte geschrieben. Obwohl die Geiselnahme recht schnell bekannt wurde, gelang es Polizeipressesprecher Werner Jantosch damals, bei den Medien eine freiwillige Nachrichtensperre zu erwirken.

Bei den Ermittlungen nach den Entführern allerdings schlampte die Polizei, es kam zu lebensbedrohlichen Patzern. Ihr Hauptaugenmerk richteten die Fahnder nämlich auf die linke Szene: Reemtsma hatte sich in den 1980er Jahren im Komitee zur Rettung der Hafenstraße engagiert und für den Erhalt der besetzten Häuserzeile am Hamburger Hafenrand starkgemacht.

Von der Nervosität der Szene kündet eine Anekdote, die der Hamburger taz-Redakteur Kai von Appen erzählt. Dessen Ex-Freundin hatte zuvor zeitweise mit ihrem einjährigen Sohn im Waschhaus auf dem Reemtsma-Grundstück am Elbhang gewohnt. Von Appen selbst war während des Hafenstraßen-Konflikts mehrfach als Bodyguard für Reemtsma eingesetzt gewesen – um zu verhindern, dass der medienscheue Millionen-Erbe auf Veranstaltungen fotografiert wurde.

Im April, kurz nach der Entführung, wurde von Appen von einer ihm unbekannten Frau angesprochen, „als ich mich in den Biergarten der Kneipe vor meinen Haus setzen wollte“. Sie habe ihn gefragt, ob er in dem Haus wohne, erinnert sich von Appen, „was ich bejahte“. Dann sei es zu einer merkwürdigen Konversation gekommen: „Laut und gut hörbar erzählte sie ihrem Begleiter, dass sie im Gegensatz zur gängigen Praxis in ihrer Firma heute beide Tresorschlüssel dabei habe und deshalb nicht den normalem Weg nach Hause gehen werde, sondern aus Sicherheitsgründen einen Umweg.“

Er habe die Frau gebeten, das Gespräch leise zu führen, was sie aber nicht getan habe, erzählt von Appen. „Mir war klar, dass das eine Finte war, dass es sich um ein Zivilfahnder-Pärchen handelte, um eine Hausdurchsuchung zu erwirken“, sagt von Appen: Hätte die Frau später etwa angegeben, sie sei wegen der Schlüssel überfallen worden, „hätte die Polizei meine Bude auf den Kopf stellen können“.

Auch in anderen Bereichen gingen die Ermittler dilettantisch vor: Mindestens zwei von der Polizei begleitete Geldübergaben scheiterten im April 1996. So auch eine durch den Familien-Anwalt der Reemtsmas, Johann Schwenn, der auf Wunsch von Reemtsmas Lebensgefährtin Ann Kathrin Scheerer tätig wurde: Als sich der Jurist am 13. April mit 20 Millionen Mark Lösegeld – sowie der Kriminalbeamtin mit dem Decknahmen „Anke“ – auf den Weg nach Luxemburg macht, geht einiges schief: „Anke“ hatte ihren Pass vergessen und musste noch mal umkehren. Um die verlorene Zeit wieder reinzuholen, wich sie danach von der vorgeschriebenen Route ab – und verfuhr sich.

„Ich bekam plötzlich zu Hause einen Anruf, dass die Geldübergabe wegen der Polizei gescheitert ist und ob ich zur Verfügung stehe“, erinnert sich Pastor Arndt. „Ich sei ja schließlich als polizeikritisch bekannt.“ Zusammen mit dem Soziologen Lars Clausen, ein Freund der Familie des Entführten, sollte er das Lösegeld nun an der Polizei vorbei überbringen. Der vormalige Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Michael Herrmann, von der Polizei observiert, sollte diese derweil ablenken. „Wir hatten in wenigen Tagen die 30 Millionen Mark zusammen, das war den Entführern jedoch zu früh“, erinnert sich Arndt. „Wir waren mit unseren Vorbereitungen wesentlich schneller als die mit ihren Übergabe-Szenario.“ Mehrfach sei das Geld zurück zur Bank transportiert worden. „Eines Morgens kam dann doch der Anruf.“

Zusammen mit Clausen machte Arndt sich in einem Mietwagen auf den Weg ins Ruhrgebiet. An Autobahnraststätten erhalten sie über Handy Instruktionen und wurden nach Krefeld gelotst. „Der Endpunkt war auf einem Feld, wo wir das Auto verlassen und mit dem Lösegeld stehen lassen sollten, um ins Dorf zurückzugehen.“

Viele Stunden später hätten sich die Entführer telefonisch dafür entschuldigt, „den Wagen bei der Transaktion in den Graben gefahren zu haben“, sagt Arndt. Wenig später kam Jan-Philipp Reemtsma frei. 1998 wurde Thomas Drach in Argentinien festgenommen, zwei weitere Männer gingen der Polizei bereits zwei Jahre zuvor als Kidnapper ins Netz. Drachs Bruder wurde 2003 wegen Geldwäsche verurteilt. Große Teile des Lösegeldes aber blieben bis heute verschwunden.