: Stahl, Plastik, Alu und Schaum
STUHL MIRRA Ein Designerstuhl wird bis ins kleinste Detail analysiert und mit gesünderen und recyclebaren Elementen neu zusammengebaut
VON JONATHAN JOSTEN
Designer hatten bei dem US-amerikanischen Unternehmen Herman Miller stets ein hohes Ansehen. Designer wie George Nelson oder Ray und Charles Eames verhalfen der Marke zu Weltruhm. Bei Herman Miller entstand auch das erste Möbelstück, das nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip entwickelt wurde.
Schon Ende der 90er Jahre, noch bevor die beiden Cradle-to-Cradle-Erfinder Michael Braungart und William McDonough ihr vielbeachtetes Buch „Cradle to Cradle“ veröffentlichten, begann Herman Miller den Ansatz in Produkte zu übersetzen. Dafür entwickelte Herman Miller ein Produktanalyseprogramm, das nach den Ideen von Braungart und Donough Rohstoffe bewertet.
Folgende Aspekte werden dabei abgefragt: Sind die Rohstoffe gesund für die Umwelt und für den Menschen? Können die Rohstoffe nach dem Benutzen des Produktes für ein anderes Produkt in ebenfalls hoher Qualität weiterverwendet werden? Können die Rohstoffe aus dem Produkt wieder zurückgewonnen werden? Für den Bürostuhl Mirra, den die Berliner Firma Studio 7.5 gestaltet hatte, musste das Unternehmen von etwa zweihundert Zuliefererunternehmen die Daten von 180 Komponenten sammeln.
Die Komponenten des Stuhls bestehen größtenteils aus Stahl, Plastik, Aluminium und Schaum. Herman Miller verschickte an alle Zulieferer Formulare, in denen diese angeben sollten, welche Materialien sie verwenden. Die Antworten blieben völlig überraschend aus. Deswegen beschloss Herman Miller, jeden einzelnen Zulieferer in Gesprächsrunden von dem Konzept zu überzeugen. Nur ein Mitarbeiter sollte auf die vertraulichen Informationen Zugriff haben. Fast alle gingen darauf ein, nur ein Zuliefererunternehmen weigerte sich und wurde ausgetauscht.
Bromiertes Flammschutzmittel und PVC wurden aus dem Produkt komplett entfernt. Deswegen musste der Rücken des Mirra 2 neu entwickelt werden. Besonders schwer tat man sich bei dem Bezug der Armlehnen. Sie bestanden ursprünglich aus PVC und wurden trotz etwas höherer Kosten schließlich durch TPUs (Thermoplastisches Polyurethan) ersetzt.
Bei dem gesamten Stuhl kam man schließlich auf ein Ergebnis von 69 Prozent gesunden Materialien. Abgesehen von der Verwendung von gesundem Material sollte der Stuhl schnell auseinandergebaut werden können. Jede Komponente wurde daraufhin abermals untersucht auf die vier Kriterien. Die Komponenten sollten in 30 Sekunden mit einfachen Werkzeugen auseinandergebaut werden können, aus homogenen Materialien bestehen und markiert sein. Der gesamte Stuhl erfüllte diese Kriterien schließlich zu 93 Prozent.
Die dritte und letzte Eigenschaft, die Herman Miller untersuchte, war die Recyclebarkeit der einzelnen Komponenten. Wenn eine Komponente des Stuhls in der gleichen Qualität wieder verwendet werden kann (Upcycling), wurde es mit 100 Prozent bewertet. Wenn ein Downcycling möglich war – die Komponente also zumindest in schlechterer Qualität wieder verwendet werden kann, wurde sie mit 50 Prozent bewertet. Wenn kein Recycling möglich war, mit null Prozent.
Herman Miller strebte für den Bürostuhl eine Recyclebarkeit von 100 Prozent an. Erreicht wurde eine Bewertung von 96 Prozent. Dabei wurden besonders die Rohstoffe Nylon 6 und PET gut bewertet, da diese Rohstoffe in nahezu gleicher Qualität wiederverwendbar sind. Im Gegensatz dazu stehen Rohstoffe wie PVC oder Duroplaste. Duroplaste sind Kunststoffe, die nach der Verwendung nicht mehr verformt werden können.
Insgesamt kam der Stuhl Mirra auf eine Bewertung von 70 Prozent. Von McDonough Braungart Design Chemistry erhielt der Bürostuhl Mirra das Cradle-to-Cradle-Zertifikat „Silver“. Nachdem das Projekt Anfang des Jahrtausends erfolgreich durchgeführt werden konnte, verfuhr man bei Herman Miller auch bei anderen Produkten nach dem beschriebenen Verfahren.
Das Beispiel Mirra zeigt, wie ein Unternehmen vorgehen kann, um die Ideen von Braungart und Kollegen in der Praxis umzusetzen. Insbesondere die engere Zusammenarbeit mit den Zulieferern hat positive Effekte auf das Produkt. Es ist weitestgehend recyclebar, allerdings hat Herman Miller bis jetzt keinen Weg gefunden, wie die Komponenten der Stühle in den biologischen oder den technischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Das Unternehmen hat nach dem Verkauf mit dem Produkt nichts mehr zu tun.
Der Käufer steht in der Verantwortung, er müsste den Stuhl aber komplett auseinanderbauen und in seine 180 Teile zerlegen und sie dann an der jeweils richtigen Stelle abgeben. Das kann nicht funktionieren, weswegen das Unternehmen an Konzepten mit externen Franchiseunternehmen arbeitet. Sie sollen in Zukunft für die Rückführung der Materialien zuständig sein.