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Archiv-Artikel

Das große sächsische Versteckspiel

Prostitution, korrumpierte Justizbeamte und Politiker – noch im Frühsommer war die sächsische Korruptionsaffäre in aller Munde. Nachdem die Aufregung abgeklungen ist, verhindert die Regierung mit immer neuen Tricks weitere Aufklärung

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Die Regierung sagt, den großen Skandal habe es nie gegeben. Trotzdem hütet sie die Geheimdienstakten dazu wie ein Staatsgeheimnis. Das ist die derzeitige Lage in der sächsischen Korruptionsaffäre. Bis heute wollte der Untersuchungsausschuss im Dresdener Landtag wieder einmal die brisanten Papiere haben. Doch die CDU-SPD-Regierung lässt auch diese Frist verstreichen, sie rückt nichts heraus.

Vom sogenannten Sachsen-Sumpf seien doch schlimmstenfalls ein paar nasse Flecken geblieben, heißt es dazu aus der Sächsischen Staatsregierung. Aber wenn der Skandal gar keiner ist, warum dürfen wir dann die Verfassungsschutzakten nicht einsehen, die die angebliche Affäre ins Rollen gebracht haben, fragen die Mitglieder des Untersuchungsausschusses. Die Oppositionsparteien Linke, Grüne und FDP sehen nicht ein, warum sie nicht sehen dürfen, was doch angeblich so harmlos ist.

Im Frühsommer dieses Jahres gab es kein deutsches Medium, das nicht über ominöse Dossiers des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz berichtete. Sie sollten Hinweise auf ein bizarres Geflecht zwischen Immobilienschiebern, organisierter Kriminalität (OK), Prostitution, Politik und Justiz auf allen Ebenen enthalten. Die wenigen, die befugt waren, die Akten einzusehen, schürten die Spekulationen weiter. Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages waren angewidert und fühlten sich an „miese Krimis“ erinnert. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) orakelte gar, das „perfide Netzwerk“ könne zurückschlagen.

Sachsens Datenschützer Andreas Schurig (SPD) wollte die Akten in strenger Gesetzesauslegung am liebsten vernichten, weil der Verfassungsschutz ab 2005 die organisierte Kriminalität nicht mehr beobachten durfte. Sie landeten schließlich doch in bearbeiteter Form bei der Staatsanwaltschaft. Mitte Juli war nach längerem Tauziehen parallel dazu bereits ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden. Er will die politischen Verantwortlichkeiten für die vermutete langjährige Ignoranz von Politik, Polizei und Justiz gegenüber den Hinweisen aufklären.

Mehr und mehr geriet auch der sächsische Verfassungsschutz selbst ins Blickfeld. Warum die Sammelwut des Inlandsdienstes? Aus vertraulicher CDU-Quelle ist zu hören, was die SPD schon lange vermutet: Man hatte Leipzig aus zwei Gründen im Visier: Zum einen, weil es die SPD-Hochburg in Sachsen ist. Vor allem aber wegen des „Leipziger Modells“. Die Parteien im Stadtparlament – von CDU über Grüne bis Linke haben sich kurz nach der Wende dazu entschlossen, sich nicht mehr wehzutun. Alles soll im Konsens entschieden werden, eine gegenseitige Kontrolle der Parteien entfällt.

Die in den Medien immer wieder angeführten Fälle konzentrieren sich in der Tat auf Leipzig. Darüber hinaus ist in den Sommermonaten kaum Neues bekannt geworden. Gelegenheit für eine Gegenoffensive der Staatsregierung. Mitten im laufenden Verfahren und passgenau zwei Tage vor dem für den angeschlagenen Ministerpräsidenten Milbradt kritischen CDU-Parteitag am 15. September nahm der Chefermittler, Oberstaatsanwalt Henning Drecoll, das Ermittlungsergebnis vorweg. Nur„heiße Luft“ finde sich in den Akten.

Justiz- und Innenministerium ließen sich von einbestellten Gutachtern noch einmal die eigenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Auftrag des Untersuchungsausschusses bestätigen. Das Ergebnis ist ein Totalboykott des Ausschusses.

Man könne bis zur heutigen Landtagssitzung ja noch ein wenig an den Formulierungen des Auftrags schrauben, bot Justizminister Geert Mackenroth (CDU) an. Zu einem Konsensgespräch, zu dem Ausschussvorsitzender Klaus Bartl (Linke) geladen hatte, erschienen aber niemand von CDU, Justiz- oder Innenministerium. Kein Blatt Papier, keine Aussagegenehmigungen, heißt es stattdessen.

Deshalb wird Bartl im Auftrag des Untersuchungsausschusses auf Herausgabe der Akten vor dem Landesverfassungsgericht klagen. Im Verfahren soll zugleich die Verfassungsmäßigkeit des Untersuchungsauftrages geklärt werden. Als Prozessvertreter soll der renommierte Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok fungieren.