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Archiv-Artikel

Hefezellen im Weinglas

Federweißer – halb vergorener Traubenmost – enthält mehr Vitamine als Traubensaft. Er perlt wie Sekt, berauscht weniger, aber hinterrücks. In der Flasche darf er nur stehend transportiert werden

VON GERNOT KNÖDLER

Federweißer ist ein anspruchsloses Getränk. Es ist ein Traubensaft, der auf dem Weg zum Wein noch kaum Gelegenheit hatte, das zu entwickeln, was später Charakter genannt wird. Ein Getränk zum fröhlichen Zechen: prickelnd, süß, nicht alkoholreicher als Bier, dabei vitaminhaltig und verdauungsfördernd. Weil der Federweiße mit der Jahreszeit kommt, eignet er sich gut dafür, in Herbststimmung zu kommen. Auch die Gastronomie freut sich, bietet er ihr doch konjunkturfördernden Anlass für Sonderaktionen, wie Federweißen mit Zwiebelkuchen.

Federweißer ist Traubensaft in Gärung, weshalb er auch Sauser, Bitzler, Bremser oder Sturm genannt wird. Hefepilze setzen den im Saft enthaltenen Zucker in Alkohol und Kohlendioxid um. Das Gas läst den Most perlen: Der Sauser moussiert wie Sekt, nur mit weniger Alkohol. Je weiter die Gärung fortgeschritten ist, desto trockener ist der Federweiße.

Üblicherweise wird er mit vier bis fünf Prozent Alkohol getrunken, etwas weniger als beim Bier. Weil er süß ist, gilt es, beim Trinken ähnliche Vorsicht walten zu lassen wie bei Alcopops, den berüchtigten Alkohol-Limonaden-Mischgetränken. Der Rausch ereilt den Trinker hinterrücks.

Der halb vergorene Traubensaft ist allerdings weit gesünder als die Spaßgetränke aus der Fabrik. „Er hat mehr Vitamine als Saft“, sagt Hans-Georg Schaaf, Experte für berauschende Getränke. Durch die Gärung kommen zu den im Saft enthaltenen Vitaminen die B-Vitamine hinzu, die die Hefe erzeugt. Von den weißen Hefezellen, die wie Federchen im Glas treiben und den Most trüben, soll auch die Bezeichnung „Federweißer“ her rühren. „Der Nachteil ist, dass die Menge der Hefe den Stuhl weicher macht“, sagt Schaaf diplomatisch über die Auswirkungen aufs Trinkergedärm. Auch deswegen sollte der Sauser daher in Maßen genossen werden.

Wegen der laufenden Gärung gab es Federweißen früher nur in Weingegenden zu trinken. Gekühlt kann er heute ins ganze Bundesgebiet geliefert werden. Beim Einkauf ist Vorsicht geboten: Die Sauser-Flaschen sind nicht dicht verkorkt, denn das Kohlendioxid muss entweichen können. Sie müssen aufrecht stehend transportiert werden. Zu Hause sollte das Getränk gekostet werden, um den Reifegrad festzustellen, empfiehlt das Deutsche Wein-Institut. Sobald er gut schmeckt, sollte er flugs getrunken werden.

Schaaf, ein Spezialist für selbst vergorene oder gebraute Getränke, bietet in seinem Geschäft mit Ausschank das ganze Jahr über moussierenden Most an – allerdings nicht aus Trauben. „Die Trauben, die man hier im Supermarkt kaufen kann, sind Tafeltrauben“, sagt er. „Die sind nicht aromatisch genug.“ Schaaf verarbeitet lieber das Obst aus dem Alten Land.

Analog zum „Roten Rauscher“ – Sauser aus blauen Trauben – bietet er Apfel- und Kirschrauscher an. Dafür friert er frisch gekelterten, unbehandelten Saft ein und taut ihn bei Bedarf auf. Bei Bardenabenden, die in seinem auf Rollenspieler und Mittelalterfans ausgerichteten Lokal „Zaubertrank“ stattfinden, sei der Rauscher besonders gefragt, erzählt Schaaf: Er bringe die Sänger in Stimmung.

Zaubertrank, Brennerstraße 20, www.zaubertrank-hamburg.de