Gleichberechtigte Partner

Ein europaweit einmaliges Kompetenzzentrum für Kleinwüchsige eröffnet in Bremen. Das Haus bietet mit Modellwohnungen „Lösungen zum Ausprobieren“. Seminare und Workshops sollen für bessere Beratung sorgen

Wie sich Essen zubereiten, wenn die eigene Körpergröße gerade mal der Höhe eines Standard-Herdes entspricht? Beim Besichtigen der Probewohnung im gestern eröffneten Deutschen Zentrum für Kleinwuchsfragen (DZK) wird klar: Was für den einen alltäglich ist, bedeutet für den anderen Herausforderung.

Die bundesweit etwa 100.000 Kleinwüchsigen mit einer Körpergröße zwischen 70 und 150 Zentimetern haben in vielen Bereichen Schwierigkeiten. Türgriffe, Lichtschalter, Treppen, Waschbecken, Kochgelegenheiten oder Toiletten – die Aufzählung der Alltagsprobleme ist lang. Herz des in Bremen eröffneten Zentrums ist daher eine Probewohnung. Dort können Kleinwüchsige und ihre Familien notwendige Hilfsmittel und Umbauten testen. Nahezu jedes Detail ist höhenverstell-, schwenk- oder fernbedienbar. Die ersten „Probewohner“ haben sich schon angekündigt.

Das Zentrum in der Bremer Leinestrasse ist europaweit einmalig. 1,5 Millionen Euro Spenden sind zu seiner Realisierung gesammelt worden. Dass das Zentrum ausgerechnet in Bremen eingerichtet wurde, ist kein Zufall. Seit seiner Gründung 1988 ist der Bundesverband Kleinwüchsiger Menschen und ihrer Familien (BKMF) hier ansässig.

Als „unglaublichen Erfolg“ bezeichnete Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD), was in nur einem Jahr auf die Beine gestellt worden sei. Doris Michel, Vorsitzende des BKMF, spricht von einem „Meilenstein für alle Betroffenen“. Für sie gehe damit „ein Traum in Erfüllung“.

Zwanzig Jahre lang, so Michel, habe man die Idee verfolgt. Kleinwüchsige Menschen führten ein „ganz normales, aber doch anderes Leben“. Sie sprach von einem „Spezifikus“, den man „knacken und bearbeiten“ müsse. Dies sei ein lebenslanger Prozess, der Begleitung und Rat erfordere. Ziel des Zentrums sei vor allem Informationsvermittlung. „Es gibt erhebliche Informationsdefizite,“ sagt Doris Michel. Daher möchte man „spezifisches Wissen“ bündeln und verbreiten, etwa durch Seminare und Ärzteworkshops.

Kleinwüchsigkeit, so die Ergotherapeutin des Zentrums, Gabriele Wilkens, sei so selten, dass selbst das medizinische Fachpersonal oft ungenügend informiert sei. Im „Kleinwuchszentrum“ wird daher auch ein spezialisierter Arzt vor Ort sein. Einer fehlerhaften Behandlung von Kleinwüchsigkeit soll damit vorgebeugt werden.

Im Fokus des Zentrums steht außerdem die Verbesserung der Erstberatung sowie der psychosozialen Begleitung, insbesondere kleinwüchsiger Kinder und Jugendlicher. „Begleitung und Beratung in allen Lebensphasen“, lautet das Motto.

Der Verein setzt auf die Abkehr von „übertriebener Fürsorge“ hin zu „individueller Selbstbestimmung und Freiheit“. Kleinwüchsige seien oft von Vorurteilen betroffen. Doch sie „wollen und können gleichberechtigte Partner in der Gesellschaft sein. Die Gesellschaft muss dies nur annehmen,“ sagt Michel. RR