: Die Pragmatikerin
1. Juni 1988: Gabriele Lamers findet nach ihrer Promotion im Fach Erziehungswissenschaften eine Anstellung als Bildungsreferentin der katholischen Pfadfinderschaft in der Diözese Hildesheim. Es folgt eine Zeit als Freiberuflerin unter anderem in der Supervision. Später leitet sie ein Frauen-Bildungshauses in Altenbrücken. 1. Oktober 1997: Gabriele Lamers wird Leiterin des Amtes für Jugend und Familie beim Kreis Nordfriesland. Nach und nach werden ihre Kompetenzen erweitert um die Ressorts Soziales, Arbeit und Gesundheit. 16. September 2007: Landratswahl in Nordfriesland. Gabriele Lamers, unterstützt von CDU und Grünen, erhält 42,79 Prozent der Stimmen, der Leitende Verwaltungsbeamte des Amtes Pellworm, Dieter Harrsen, 36,28 Prozent. Er ist für SPD, SSW und die Wählergemeinschaft Nordfriesland angetreten. Die Wahlbeteiligung liegt bei 28,5 Prozent. Am 30. September ist die Stichwahl. GES
AUS NORDFRIESLAND PHILIPP GESSLER
Dr. Gabriele Lamers tritt auf ihre Werbebroschüre. Mitten auf dem Foto von ihrem strahlenden Gesicht landet der Fuß. Der nordfriesische Wind wollte gerade das Faltblatt wegfegen, das dazu aufruft, sie am Sonntag zu wählen. Die Stichwahl für den Posten des Landrates des Kreises Nordfriesland steht an.
Dass Wahlkampf ein verdammt hartes Geschäft sein kann, zeigt sich an diesem Montag in Süderlügum. Auf dem elenden Edeka-Parkplatz, gleich gegenüber vom Raiffeisen-Silo, kämpft die Leiterin des Amtes für Jugend, Soziales, Arbeit und Gesundheit des Kreises Nordfriesland nicht nur gegen den Wind, sondern auch gegen das Desinteresse des Wahlvolks.
„Darf ich Ihnen dies zur Erinnerung für die Landratswahl geben?“ Mit Sätzen wie diesem tritt die 48-jährige Lamers an die Kunden heran. Die vielen Dänen, die hier, ganz nahe der deutsch-dänischen Grenze, vor allem billigen Alkohol einkaufen, sind freundlich zu Gabriele Lamers, dürfen aber nicht wählen. Die Deutschen dagegen, vor allem die jüngeren, lassen die lächelnde Frau mit ihren Flyern meist einfach nur dumm dastehen.
Ihr Frust wächst. „Ooooh“, seufzt Lamers enttäuscht nach einer erneuten Abfuhr. Situationen wie diese, sagt sie, erklärten, „warum so wenige gute Leute in die Politik gehen – weil sie sich das nicht antun wollen“. Aber die Kreisverwaltungsdirektorin Dr. Gabriele Lamers tut sich das an – und dass sie mit den „guten Leuten“ auch sich meint, daran lässt sie kaum Zweifel.
Dabei kontrastiert die Tristesse des Parkplatzes in der tiefen Provinz mit der Bedeutung, die die Wahl von Gabriele Lamers landes-, vielleicht auch bundesweit gewinnen könnte: Die Frau hat gute Chancen, nicht nur die erste Landrätin Schleswig-Holsteins zu werden, sondern die Erste hier, für die CDU und Grüne in einem Bündnis gemeinsam werben. Das schwarz-grüne Abenteuer, das in den bildungsbürgerlichen Milieus von Metropolen wie Frankfurt am Main oder Unistädten wie Freiburg erstmals erprobt wurde, würde das platte Land erreichen, also konservativ und landwirtschaftlich geprägte Regionen wie Nordfriesland. Gabriele Lamers ist eine Vorreiterin dieses Trends.
Hinzu kommt, dass es in Hamburg, auf Landesebene, am 24. Februar zum ersten schwarz-grünen Bündnis kommen könnte. Und auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen scheint angesichts seiner kriselnden großen Koalition mit einer schwarz-grünen Alternative zu liebäugeln: Er unterstützt Gabriele Lamers.
Ist diese Wahl in der nordfriesischen Provinz eine Art Versuchsballon, wie eine schwarz-grüne Koalition eines Tages auf Landes- und gar auf Bundesebene funktionieren könnte? Würde die Basis da mitziehen?
„Klar, nicht autoritär“
Gabriele Lamers steuert ihr Wahlkampfauto auf den schmucken Marktplatz von Tönning, der 5.000-Einwohner-Stadt im Süden des Kreises. Seit August hat sie schon 4.000 Kilometer zurückgelegt. Der Wagen, ein etwas aufgemotzter Japaner mit ihrem Konterfei auf den hinteren Türen, hat ein Autohändler spendiert, denn das Geld ist knapp in den Kassen beider Parteien. Der Grund ist: Die Landratswahl musste außerplanmäßig angesetzt werden, als klar wurde, dass der vorherige Landrat Olaf Bastian (CDU) im Frühjahr in die schleswig-holsteinische Landesvertretung nach Berlin wechseln würde.
Gabriele Lamers erspäht ihren Konkurrenten Dieter Harrsen. Der hat am Rande des Platzes einen SPD-Schirm aufgespannt. „Zurück in die 50er-Jahre“, zischt Lamers, „gucken Sie sich nur mal sein Plakat an, dann ist alles klar.“ Harrsen ist nicht nur Leitender Verwaltungsbeamter beim Amt Pellworm und Chef der Wählergemeinschaft Nordfriesland im Kreistag. Der 49-Jährige wird im Kampf um den Landratsposten von der SPD und dem SSW, dem Südschleswigschen Wählerverband, unterstützt. Sein Motto auf dem Plakat mit Deichidylle: „Nordfreesland stark moken!“ Auf seinem Wahlflyer verspricht er: „As tokünftige Landraat warr ik mit jem, de Verwaltung un de Politik de Kreis Noordfreesland na vörn bringen.“
Es ist Wochenmarkt in Tönning. Gabriele Lamers parkt so halb im Halteverbot, wuchtet einen Stehtisch, einen CDU-Schirm und einen Klappständer mit ihrem Wahlplakat aus dem Auto, „Gemeinsam für Nordfriesland“ steht darauf. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ingbert Liebing ist auch da, sie begrüßt ihn herzlich. „Toll, dass du noch gekommen bist.“ Auf seiner Homepage macht Liebing Werbung für Gabriele Lamers.
Es habe „keine gemeinsame Kandidatenauswahl“ mit den Grünen gegeben, betont der CDU-Kreisvorsitzende, während Lamers sich mit ihren Broschüren an die meist älteren Marktbesucher heranpirscht. Man unterstütze sie als parteilose Kandidatin, weil sie einfach die anerkannte Fachfrau in der Kreisverwaltung sei. Dass auch die Grünen sie nominiert haben, sei in seiner Partei „sehr gelassen“ aufgenommen worden. Es habe nur wenige gegeben, „die das irritiert hat“. Die CDU hat die absolute Mehrheit im Kreistag.
Eine Absprache mit der Landes-CDU habe es nicht gegeben, sagt Liebing, aber natürlich werde der gemeinsame Wahlkampf mit den Grünen „mit Interesse verfolgt“. Auch seine Parteifreunde am Stand wissen nichts von Irritationen über den gemeinsamen Wahlkampf mit den Grünen zu berichten.
Konkurrent Harrsen spricht unterdessen mit einem Rentner, der meint, dass man heutzutage doch nur die Wahl zwischen „Pest und Cholera“ habe. Der Kandidat widerspricht nur lau, aber auf Platt, und das ist dem Rentner und einer hinzugetretenen Nachbarin wichtig. Als Landrat müsse man jemanden haben, der hier geboren sei, sagt sie auf Plattdeutsch.
Tatsächlich scheint das für Gabriele Lamers hier ein Problem zu sein. Den Dialekt spricht spricht sie nicht, denn sie wurde im nordrhein-westfälischen Alpen am Niederrhein geboren. Und sie hat weder Kinder noch einen Ehemann – das sehen viele nicht gern im bodenständigen Nordfriesland. Lamers hat in Erziehungswissenschaften promoviert, aber, sagt ein SPD-Kreispolitiker, sie wisse halt doch nicht, wie das sei, nachts stundenlang mit einem schreienden Kind klarkommen zu müssen.
So ticken hier viele, und dass sie vor ihrer Zeit in der Kreisverwaltung ein Frauenbildungshaus in Altenbrücken bei Bremen geleitet hat, macht die Sache nicht besser. Genüsslich erzählt ihr Konkurrent Harrsen, Lamers führe ihre Verwaltung so autoritär, dass nicht gegen sie anzutreten „unterlassener Hilfeleistung“ gleichgekommen wäre.
Solche Vorwürfe seien, „gelinde gesagt: Quatsch“, meint Gabriele Lamers. „Ich bin, klar, nicht autoritär.“ Wer selbstständig arbeite, habe unter ihrer Führung auch viel Freiheit. Andreas Tietze, Chef der grünen Kreistagsfraktion, warnt bereits: „Der Landratswahlkampf wird immer mehr zur Schlammschlacht.“
Guter Landfrauenkuchen
Tatsächlich spielen politische Programme eine eher untergeordnete Rolle. Auch Kandidatin Lamers meint, im Grund forderten alle in etwa das Gleiche, denn die wesentlichen Ziele habe der Kreistag ja im vergangenen Jahr mit der Verwaltung bereits beschlossen. Der Landrat habe sie durchzusetzen. Also den Küstenschutz verstärken, die Hauptverkehrsader B5 ausbauen, Tourismus, regenerative Energien und die Landwirtschaft fördern und den demografischen Wandel im Kreis managen. Tatsächlich ist es schwer, bei den „12 Zielen für Nordfriesland“ von Gabriele Lamers irgendwie erkennen zu wollen, was davon schwarz und was davon grün ist. Gut möglich jedoch, dass gerade dies ihr Erfolgsrezept ist.
Andreas Tietze von den Grünen meint, etwa in Sachen Tourismus und regenerativer Energien seien CDU und Grüne „inhaltlich nicht so weit entfernt“ voneinander. Die CDU bewege sich „auf die Mitte zu“ – und das in diesem „strukturkonservativen Kreis“. Der ländliche Raum werde dem städtischen mental ähnlicher: „Da verändert sich was.“ Der Wahlkampf mit der CDU sei „menschlich sehr zuverlässig und positiv“. Sein anfänglicher „Kulturschock“, etwa als Grüner bei den Landfrauen eingeladen zu werden, sei schnell verflogen. „Ich habe einen mehr als guten Kuchen gekriegt“, sagt der Fraktionschef. Und im Bund schaue man „genau“ auf das schwarz-grüne Experiment in Nordfriesland.
Dort, in Berlin, jedoch versucht der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard Bütikofer, den Ball flach zu halten. „Es gibt keinen Anlass, daraus mehr zu machen, als es ist: eine Entscheidung für Nordfriesland“, sagt der 54-Jährige. Eine von CDU und Grünen unterstützte Landratskandidatin als „Signal für den Bund“ zu lesen sei „ziemlich übertrieben“.
Ganz so herunterspielen will es Detlef Matthiessen, der grüne Landtagsabgeordnete für die schleswig-holsteinische Westküste, nicht: Der gemeinsame Wahlkampf mit der CDU „hat schon einen Effekt“, sagt er. „Dor ward man nie dümmer von.“
Der Wochenmarkt von Tönning leert sich, Gabriele Lamers klappt ihren Stehtisch zusammen und packt ihn wieder ins Wahlkampfauto. Wieder hinterm Lenkrad, kann sie wenig dazu sagen, was für Schwarz-Grün spreche – nur dass sie „als Landrätin keine Parteipolitik“ mache. „Ich will den Kreis voranbringen.“ Immerhin, die Zusammenarbeit zwischen den zwei Grünen und drei CDU’lern in ihrem Wahlkampfteam laufe gut und „ohne irgendwelche parteipolitischen Querelen“. Dann fügt sie hinzu: „Vielleicht bin ich einfach zu pragmatisch für Parteipolitik.“
In Süderlügum sagt der frühere CDU-Bürgermeister Heinz Otto Tetens, 68, über die Kandidatur der Gabriele Lamers: „In diesem Fall finde ich das gut.“ Dann schweigt er. So ist das im Norden.