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Archiv-Artikel

Ist er bald Alleinherrscher?

MACHTKAMPF Auf dem AfD-Parteitag geht es um die Führungsfrage. Es gibt Streit über die inhaltliche Ausrichtung der Partei. Der Sprecher Bernd Lucke setzt sich durch

Standing Ovations in beiden Sälen. Petry und Gauland bleiben sitzen

AUS BREMEN SABINE AM ORDE

Schon mit der Einigung zum Ablauf tut man sich schwer. Als es am Freitag um die Tagesordnung des AfD-Bundesparteitags geht, hagelt es Anträge zur Geschäftsordnung. Soll die Tagungsleitung einzeln oder kollektiv bestimmt werden? Soll die Redezeit auf 30, 60 oder 90 Sekunden begrenzt werden? Einer fordert „drei Millisekunden“.

Nach zwei Stunden beantragt ein Mitglied, die Tagungsordnung so anzunehmen, wie der Bundesvorstand sie vorgeschlagen hat. Mit einem Schlag sind alle 45 Änderungsanträge zur Tagesordnung vom Tisch. Basisdemokratie à la AfD.

Dann wird Lucke, bislang einer von drei AfD-Sprechern, wie die Parteichefs noch heißen, im Bremer Congress Centrum auf die Leinwand projiziert. Weil nur 2.000 Teilnehmer in den Hanse-Saal passen, hat die AfD zusätzlich das Musicaltheater angemietet, wo Lucke nun vor einigen hundert Parteimitglieder spricht.

„Stümperhaft“ sei die Arbeit des Bundesvorstands, zu dem er selbst gehört, bislang gewesen, sagt Lucke. Das sei in der Zeit des Parteiaufbaus verständlich gewesen, nun aber müsse man effizienter werden. Richten soll es ein hauptberuflicher Generalsekretär. „Wir sind kein Kegelclub oder Kaninchenzüchter-Verein, den man ehrenamtlich führen kann.“ Zudem soll die Anzahl der Sprecher auf einen reduziert werden, bei dreien seien die Reibungsverluste zu groß.

Für Lucke steht viel auf dem Spiel. Mit der Drohung, sich zurückzuziehen, hat er seine erz- bis nationalkonservativen Gegenspieler im Vorstand, Frauke Petry und Konrad Adam, die Kosprecher, und Partei-Vize Alexander Gauland zu einem Kompromiss gezwungen: bis November, dann soll das Parteiprogramm stehen, soll es zwei Vorsitzende gegeben, ab Dezember dann nur noch einen, vermutlich Lucke. Das wollten die drei verhindern. Denn hinter der Führungsfrage steht ein heftiger Machtkampf um die inhaltliche Ausrichtung der Partei. Wie weit rechts darf es denn sein?

Lucke setzt darauf, was ohnehin alle denken: Ohne ihn geht es derzeit nicht. Er sei das Gesicht der Partei, ihr Motor, ihr Ausputzer, der allzu oft auf andere warten muss. Das klingt arrogant, Applaus gibt es trotzdem. „Ich habe zurzeit zwei Hauptberufe als Europaabgeordneter und Parteisprecher“, sagt er dann, aber es gebe „Grenzen der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit“. Wieder Applaus. Den Vorwurf, die inhaltliche Bandbreite der Partei nicht zu vertreten, versucht Lucke wegzuwischen: Der Vorsitzende müsse das Parteiprogramm repräsentieren, das es im November ja geben soll. „Die einzige wirkliche Gefahr für die AfD geht von uns selber aus.“ Standing Ovations in den Sälen.

Petry und Gauland bleiben sitzen. Petry, die sächsische Landeschefin, unterstützt den Kompromissvorschlag, in ihrer Rede zielt sie aber geschickt auf Luckes Schwachpunkte. Wenn sich alle hinter verabschiedete Positionen versammeln sollen, dann dürfe man auch im europäischen Parlament nicht für Sanktionsvorbereitungen gegen Russland stimmen. Applaus. Genau das hatte Lucke in Brüssel gemacht. Der Umgang mit Russland ist eines der großen AfD-Streitthemen.

Auch gehe es nicht nur um Effizienz, setzt Petry zum nächsten Schlag an – diesmal gegen Luckes häufig beklagten Führungsstil. „Man müsse die Menschen auch mitnehmen.“

„Lucke riskiert für seine Lösung die Spaltung der Partei“, ruft einer danach ins Saalmikrofon. „Er riskiert einen Bürgerkrieg.“ Wenn Lucke Alleinherrscher werde, sagt ein anderer, vertrete er nur ein Drittel der Partei. Einer ruft mit hochroten Kopf: „Ich bitte Sie, den narzisstischen Anspruch von Herrn Lucke abzulehnen.“

Doch die große Mehrheit nimmt den Kompromissvorschlag an. Lucke winkt mit beiden Armen von der Leinwand. Er strahlt. Gelaufen aber ist die Sache für ihn noch nicht. Am Abend muss die Satzung als Ganzes mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Dazwischen: zähe Debatten über einzelne Paragrafen, unzählige Geschäftsordnungsanträge und Abstimmungen. Manch einer verliert den Überblick.

Abends werden die restlichen Änderungsanträge dann kurzerhand zu den Akten gelegt. Die AfD braucht die neue Satzung, dieses Signal der Geschlossenheit. 67,5 Prozent der Mitglieder votieren für die neue Satzung. Das ist knapp, sehr knapp sogar. Lucke hat sich damit erst mal durchgesetzt. Inhaltlich aber ist nichts entschieden. Im November will sich die AfD ein Programm geben.

Meinung SEITE 12