Raus aus der freiwilligen Lacan-Gruppe

HYBRID Thomas Meineckes sechster Roman, „Lookalikes“, funktioniert in Brasilien besser als in Düsseldorf

Der Autor, der sich selbst immer so negiert hat, berichtet aus dem Real Life, macht einen auf Reporter

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Salvador da Bahia in Brasilien und Düsseldorf am Rhein. Nicht, dass einem sofort einfallen würde, was diese beiden Städte miteinander verbinden könnte. Aber um das „Sofort“ ging es dem Schriftsteller, Musiker und DJ Thomas Meinecke noch nie. Es ist die Gewordenheit kultureller Praktiken, die ihn interessiert. Die verschlungenen Wege, die Symbolpolitiken, Sounds und Begriffe genommen haben. Die Überzeugung, dass alles ein Ergebnis von Migration und Hybridität ist und ergo alles irgendwie aufeinander verweist. Postkolonialismus, Kreolisierung, Black Atlantic, you name it.

Eine symbolische Scharnierstelle, die Meinecke zwischen den beiden ungleichen Städte in seinem neuen, sechsten Roman „Lookalikes“ findet, hat mit der menschlichen Benutzung tierischer Außenhäute zu tun: Während in der „schwärzesten Stadt Brasiliens“ Federn auf die Schwellen der Candomblé-Tempel gestreut werden und die Gläubigen reihenweise vor künstlichen Leopardenfellen in Trance fallen, laufen in der deutschen Chichi-Metropole die Pelzträgerinnen über die Kö, tauscht die „Freiwillige Lacan-Gruppe“ bei Facebook Fotos des Psychoanalytikers im Pelz und bestellt sich fellbesetzte G-Strings im Internet. Nicht, dass alle diese Phänomene dasselbe bedeuten, behauptet Meinecke, sondern er insinuiert, dass sie etwas bedeuten, was über ihre vergleichbaren Trägermedien hinausweist. Dass man sie mit dem entsprechenden theoretischen und popkulturellen Wissen als ein Mehr entschlüsseln kann. Um dann als Laienkulturanthropologe eine Orgie des Bedeutunggebens und -entschlüsselns zu feiern.

Was Thomas Meinecke, nach Thomas-Meinecke-Art, in „Lookalikes“ wieder tut. Auch wenn der selbsterklärte Popliterat mittlerweile 56 Jahre alt ist: Mit leidenschaftlicher Emphase hat er erneut ein mit den Mitteln der Bricolage erstelltes Plädoyer für die Bricolage, das Nichtreine und Nichtidentitäre, zusammengesampelt. Hat seine Verdienste um die von Hölzchen auf Stöckchen kommenden Verweissysteme zwischen Popkultur, Literatur und Akademiediskurs erneut größer werden lassen. Ist wieder einmal durch die Referenzhölle als den Ort seines persönlichen Genießens geschritten. Und hat es dabei wiederholt nicht geschafft, einen irgendwie als „Erzählung“ zu wertenden Text zu schreiben. Wie ein Schaufelradbagger frisst Meinecke sich wieder durch massenhaft Primär- und Sekundärmaterial, wobei er seine bereits zur Marke geronnene Tertiärliteratur verfertigt, die man – will man sie nicht als formale und auch inhaltliche Stasis oder als Scheitern an der Form des Romans geißeln – zur Konzeptkunst erklären muss.

Das Düsseldorfer Personal heißt Josephine Baker, Justin Timberlake, Shakira und Serge Gainsbourg, arbeitet bei Starbucks und in der Kosmetikabteilung von Kaufhof, rennt nach der Arbeit zum Lesekreis, räsoniert über Female Impersonators, die Geschichte des Striptease, Lady Gagas Fleischkleid und ist, auch wenn der Facebook-Alias „Britney Spears“ lautet, nicht notwendigerweise biologisch weiblich. Das ist so manisch rund ums Thema „Doing Gender“ kreisend wie bei Meinecke seit „Tomboy“ (1998) üblich.

Deutlich besser wird es in den Salvador-Passagen. Denn dort passiert etwas Überraschendes. In offensiv ausgestellter Nachahmung von Hubert Fichtes Brasilien-Trips und -Büchern fährt auch Thomas Meinecke los, besucht auf den Spuren Fichtes Favelas, Boulevards und die Tempel der Candomblé-Religion. Und kommt übers bloße Fichte-Zitieren hinaus, ja, führt sich als Figur in der dritten Person Singular ein – was er selbst als gewöhnungsbedürftig schildert, dann aber doch irgendwie leicht verdruckst durchzieht. Die latente Klemmihaftigkeit, mit der „der Schriftsteller Thomas Meinecke“ oder auch „der Deutsche“ seine Eindrücke schildert, ist dabei natürlich verständlich: Die große Verwertungsmaschine, die sich selbst als Autor immer so sehr negiert hat, berichtet plötzlich aus ihrem real life, macht einen auf Reporter! Aber Meinecke kann sein Schreiben noch so sehr in die dritte Person objektivieren und als bloßes Palimpsest von Fichtes 40 Jahre früher entstandenen Bericht-Romanen „Xangô“ und „Explosion“ verkaufen: Seine dichte Beschreibung der ihm erst so fremden Stadt, sein begeistertes Wissenwollen, Beobachten und Nachfragen – das ist echt (obwohl Echtheit natürlich immer irgendwie essentialistisch und fragwürdig ist!), und man kann davon nicht genug bekommen.

Die Besuche der Candomblés – einer spezifisch brasilianischen Hybridreligion aus afrikanischem Götterkult und christlicher Heiligenverehrung – entfalten in der Verschaltung von detaillierter Situationsbeschreibung und Querverweisen auf Detroit-Techno, Musicá Popular Brasileira, Katholizismus, die Filmemacherin Maya Deren, Klassiker der Anthropologie und, hier funktioniert’s, Lacan eine schöne Wucht.

Schade, dass Meinecke sich nicht getraut hat, seinen Salvador-Aufenthalt stofflich für ausreichend zu halten, sondern aus Angst vor zu viel Subjektivität immer wieder das profillose Düsseldorfer Figurentheater als langweiligen Rahmen für sein Zitatkarussell auftreten lässt. Denn irgendwann liest man diese Bröckchen aus Judith Butler, Mode und Verzweiflung nur noch als Persiflage auf die verkopfte Meinecke-Methode, die in den Neunzigern noch en vogue war, nun aber etwas mutlos als irgendwie billig erkaufte politische Korrektheit dasteht.

Thomas Meinecke: „Lookalikes“. Suhrkamp, 2011, 393 Seiten, 22,90 Euro