: Das Risiko scheuen
KUNSTHANDEL Wenn Galeristen vorsichtig agieren, dann ist wohl die Finanzkrise im Kunstmarkt angekommen. Signale auf der Frieze Art Fair in London
Die Ausstellung, die die Londoner Tate Modern Gerhard Richter zum 80. Geburtstag ausgerichtet hat, wird dort spannend, wo sie mit den – seit den 90er Jahren entstandenen – Abstraktionen eher langweilig ist. Denn plötzlich stellt sich die Frage nach der Aufgabe des Kuratierens. Warum eigentlich lässt einen diese Malerei, die man noch vor ein paar Jahren so aufregend fand, nun ziemlich kalt? Sah man damals andere, bessere Bilder? Aber ist diese Frage überhaupt sinnvoll? Geht es bei den Abstraktionen nicht um die prinzipiell endlose Variation eines Bildkonzepts? Kann man wirklich sagen, dieses Bild ist formal stärker als das andere?
Dagegen sind die Kriterien unmittelbar einsichtig, nach denen die Galerien ihre Messestände auf der am Mittwoch eröffneten Frieze Art Fair bestückt haben oder nach denen die Deutsche Bank, der Hauptsponsor der Kunstmesse, dort vorgestern ihren Artist of the Year 2012 präsentierte. Der slowakische Künstler Roman Ondak hat zu Recht einen guten Lauf, seitdem er den tschechisch-slowakischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2009 gestaltete, indem er dessen Türen aushängte und Pflanzen und Kies durch ihn wuchern ließ, als habe die Trennung von innen und außen nichts zu bedeuten. Zuvor bat Ondak die Besucher seiner Ausstellung, sich mit dem Rücken an die Wand zu stellen. Dort wurden ihre Körpergrößen, Namen und das Datum mit einem Strich notiert. So entstand eine schwarze Spur von Buchstaben und Zahlen, die in einer bestimmten Höhe wie ein dunkler Insektenschwarm daherzubrausen schien. Es ist der Betrachter, der dieses Werk schafft, indem er seine Anwesenheit dokumentiert: „Measuring the Universe“ wandert damit auch als eine Art globale Zeichnung durch die Welt.
Entsprechend will der Künstler des Jahres junge Künstler fördern, deren Fotoarbeiten und zeichnerisches Werk oder, allgemeiner, deren Arbeiten auf Papier herausragen. Statt mit einem Preisgeld ist die Auszeichnung mit einer Ausstellung in der Deutschen Guggenheim in Berlin verbunden. Interessanterweise sind nun neben Malerei Fotografie und Papierarbeiten auf der diesjährigen Frieze auffallend gut vertreten. Anders als bei der Deutschen Bank, die sich in ihrer Sammlung ganz grundsätzlich auf diese relativ kostengünstigen Genres konzentriert, ist das Phänomen hier ein temporäres: Eine drohende, zweite Runde der Finanzkrise lässt die Händler sichtlich das Risiko scheuen. Die Zeltstadt in Londons Regent’s Park, in der 170 internationale Topgalerien ausstellen, ist ein wichtiger Indikator für die neue Kunstsaison, die mit der Messe und den abendlichen Auktionen zeitgenössischer Kunst bei Phillips de Pury, Sotheby’s und Christie’s beginnt.
In beiden Häusern herrschte eher glanzlose Stimmung, am Ende lagen die Verkäufe auch unter den Erwartungen. Eher unwahrscheinlich, dass Christie’s die Sache herausreißen könnte. Wenn ein Trend festzustellen ist, dann der zur Absicherung. Während die Sammler, wie auf der Frieze zu erfahren war, den Cross-over entdecken, also neben der zeitgenössischen auch zunehmend die antike Kunst und die alten bis klassisch-modernen Meister, kann man bei einigen Galerien im Regent’s Park gewissermaßen noch einmal vor vier bis fünf Jahren einsteigen und Positionen nachkaufen, die man damals versäumt hat. Dazu passt, dass der Londoner Galerist Jay Jopling (White Cube) jetzt mit der Galerie Modern Collections kooperiert, die sich auf den Erwerb junger Kunst über den zweiten Markt spezialisiert hat, wobei Arbeiten, die vor sechs Jahren noch für 20.000 Dollar zu haben waren, nun bis zu 800.000 Dollar kosten.
BRIGITTE WERNEBURG