: Nicht den Delmenhorster Weg gehen
Die Gemeinde Melle glaubt nicht, dass der Rechtsanwalt und NPD-Funktionär Jürgen Rieger wirklich am Erwerb ihres alten Bahnhofsgebäudes interessiert ist. Von ihrem Vorkaufsrecht jedenfalls will die Stadt keinen Gebrauch machen
von ANDREAS SPEIT
Der unterzeichnete Kaufvertrag liegt vor: Ein Notar hat die Vereinbarung zwischen dem Noch-Besitzer des alten Bahnhofs in Melle, Stefan Schimweg, und dem Neonazi-Rechtsanwalt Jürgen Rieger der Stadt zukommen lassen. Der Immobilienpoker in der niedersächsischen Kommune ist damit noch nicht zu Ende. Denn der Verkauf „ist nicht sicher“, sagt Bürgermeister André Berghegge (CDU). Und versichert, man lasse sich „auch nach der Vorlage des Kaufvertrags nicht erpressen“. Auch im Meller Stadtrat waren sich alle Fraktionen einig darüber, dass die Stadt nicht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen wird. Es gebe, sagt Berghegger, „immer noch große Zweifel an der Ernsthaftigkeit“ von Riegers Angebot.
Weniger Zweifel hatten wohl die gut 600 Demonstranten, die am vergangenen Samstag gegen ein mögliches Neonazizentrum mitten in Melle protestierten. Mehr als 2.000 Unterschriften dagegen wurden auch auf dem Herbstfest gesammelt. Neonazis, sagt der grüne Ratsherr Alfred Reehuis, „sind hier unerwünscht“. Trotzdem wolle niemand in der Stadt das 800-Quadratmeter-Gebäude zu einem Preis von mehr als 700.000 Euro kaufen. Auf diesen Betrag nämlich ist der Kaufvertrag für das Gebäude ausgestellt. Dessen Verkehrswert liegt bei 200.000 Euro. Auch bei den Bürgern soll kein Geld für einen möglichen Kauf gesammelt werden, sagt Olaf Jörding vom Webblog „Melle sagt Nein! Kein Verkauf des Meller Bahnhofs an Neonazis“.
Durch solche Aktionen hatte die Stadt Delmenhorst Ende 2006 einen Verkauf des dortigen „Hotels am Stadtpark“ an Rieger abgewendet. Wochenlang sammelten Initiativen Geld, nachdem Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) nicht hatte ausschließen mögen, dass „Herr Rieger ganz ernsthaftes Kaufinteresse hat“. Damals wie heute erklärte der Hamburger NPD-Landeschef Rieger, ein Schulungszentrum eröffnen zu wollen.
Jetzt scheinen die Behörden von anderen Bedingungen auszugehen. So erklärt Melles Bürgermeister Berghegger, Stadtverwaltung, Polizei, Landkreis und Verfassungsschutz seien sich einig, dass die Pflicht bestehe, „ein solches Objekt nicht völlig überteuert zu kaufen“.
Damit liegt der Handlungsdruck wieder beim Besitzer. Der grüne Ratsherr Reehuis erklärt, nun werde sich zeigen, wie ernst es Rieger mit dem Erwerb der Immobilie sei. Denn nun müsste beim Grundbuchamt die Eigentumsübertragung beantragt werden, und dann wären auch die 700.000 Euro fällig. Vor allem aber dürfte Rieger dieser Immobilienerwerb in Rechtsstreite verwickeln: Für die Nutzung, wie sie ihm vorschweben dürfte, müssten nämlich Änderungsanträge gestellt werden. Diesen dürfte das zuständige Eisenbahnbundesamt aber nicht so einfach entsprechen, sagt Reehuis. Auch stehe der etwa 140 Jahre alte Bahnhof unter Denkmalschutz – auch das erleichtere Umbauten nicht.
So wie der Bürgermeister glaubt der Ratherr auch weiter, dass bei dem Geschäft stark „geblufft“ wird: Bei dem hohen Preis, der in Rede stehe, könnten der Besitzer und der NPD-Mann sich den Gewinn teilen. Auch Berghegger erklärte gegenüber dem NDR, die Stadt werde nicht „indirekt die NPD finanzieren“.
Unter dem Motto „Wir gegen Rechts“ protestierten am Montagabend erneut rund 3.000 Anwohner und Ratsmitglieder gegen ein mögliches Nazizentrum.