: Sprung zurück ins Mittelalter
betr.: „Vom Schaden Gottes“ von Robert Misik, taz vom 22. 9. 07
Dass Robert Misik diese Diskussion angestoßen hat, halte ich für sehr wichtig, auch wenn sein Kommentar eigentlich einen anderen Aspekt behandelt als Kardinal Meisners Äußerung, dem es ja diesmal weniger um Moral als um Kunst ging. Sieht man einmal von der unglaublichen Entgleisung in der Wortwahl ab, kann sich die Auffassung, Kunst ohne Transzendenzbezug sei flach oder banal, auf Bach, Goethe und andere große Geister berufen. Erst die Postmoderne hat die Lösung vom Transzendenzbezug in ehrlicher Konsequenz vollzogen, und Kardinal Meisner ist nicht der Einzige, der dem nicht so recht folgen mag.
Der eigentliche Skandal ist aber folgender: Während im europäischen Denken der Gottesbezug im christlichen Sinn schrittweise durch einen philosophischen Gottesbegriff, einen allgemeinen Transzendenzbezug, abgelöst wurde, in dem sich auch andere Religionen oder Agnostiker wiederfinden können, findet zurzeit eine Refixierung auf das personale christliche Gottesbild statt, mit all seinen historischen, dogmatischen und konfliktträchtigen Zumutungen. Diese bestehen unter anderem darin, und dies erscheint mir außerordentlich bedeutsam, dass der zentrale Mythos des Christentums gebunden ist an ein tatsächliches historisches Geschehen und von daher einen sozusagen wissenschaftlich begründeten Wahrheitsanspruch erhebt, der im Widerspruch steht zum ursprünglichen Charakter mythologischer Weltdeutung. Da das Leben des historischen Jesus sich im Kontext der jüdischen Tradition ereignete, wird auch diese in eigener Interpretation vereinnahmt und in all ihrer historischen Begrenztheit zu universaler Gültigkeit erhoben. Wer sich mit solchen Widersprüchen und Zumutungen nicht mehr befassen oder abfinden mag, aber dennoch in dieser Welt und diesem Leben einen Sinnzusammenhang erhofft oder verspürt, steht im Weltbild Kardinal Meisners bereits außerhalb der Kultur. Dies aber ist ein qualitativer Sprung zurück ins Mittelalter, der weithin unbemerkt vollzogen wird durch eine kleine Begriffsverschiebung – Gottesbezug statt Transzendenzbezug. Es handelt sich um den Versuch einer erneuten Ideologisierung der Kultur, also um genau das, was Meisner mit seinen umstrittenen Äußerungen anprangert.
DOROTHEA LIESEGANG, Köln