Wladimir Putin geht und bleibt

Der russische Präsident inszeniert seine Nachfolge wie einen unterhaltsamen Mehrteiler. Seine Ankündigung, als Spitzenkandidat der Kremlpartei bei den Parlamentswahlen im Dezember anzutreten, soll ihm auch künftig die Macht sichern

Wladimir Putin ist einsam und traut in seiner Umgebung niemandem

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Das Rätselraten um die Nachfolge Wladimir Putins im Kreml nähert sich der Lösung. Zunächst angelegt wie ein Geduldspiel, machte der russische Präsident aus der Auflösung des Rätsels einen unterhaltsamen Mehrteiler. Die Entscheidung, bei den Dumawahlen als Spitzenkandidat der Kremlpartei „Geeintes Russland“ anzutreten, bringt noch nicht endgültig die Lösung, aber Klarheit. Wladimir Putin gedenkt nicht, die Macht in Russland abzugeben. Die einzig offene Frage: Welche Funktion wird der Kremlherr bekleiden, um nach den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr die Macht auch weiter in den Händen zu halten?

Auf dem Kongress der Kremlpartei erklärte sich der Präsident spontan bereit, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Was nach Spontaneität aussehen sollte, erinnerte an die Inszenierung der KPdSU: Instruierte Kader bitten die Führung im Namen des Proletariats um einen allen Werktätigen unter den Nägeln brennenden Gefallen. Die Vorwegnahme der Lösung beinhaltet indes noch nicht die Klärung der Zwischenschritte, wie sich das Szenario bis zu den Präsidentschaftswahlen entwickeln wird. Präsident Putin könnte nach den Dumawahlen vom Amt zurücktreten und dem amtierenden Premier Wiktor Subkow die präsidialen Funktionen übertragen. Dass der vor drei Wochen überraschend designierte Premier auch Putins erwählter Nachfolger im Kreml ist, gilt inzwischen als sicher.

Noch ist der aus dem politischen Off hervorgezauberte Subkow für die Wähler ein unbeschriebenes Blatt. Als amtierender Präsident erhielte er die Chance, sich mit einem Amtsbonus versehen vor dem Wahlgang zu profilieren. Auch Putins Vorgänger, Boris Jelzin, verfuhr so und zog sich drei Monate vor dem Urnengang zurück. Da die russische Verfassung verbietet, gleichzeitig ein Staatsamt und ein Dumamandat wahrzunehmen, müsste Putin nach dem zu erwartenden fulminanten Wahlsieg der Kremlpartei auch zu keinen juristischen Taschenspielertricks mehr greifen.

Richtige Spannung dürfte aber erst wieder nach den Dumawahlen aufkommen. Im russischen Herrschaftssystem fällt dem Premier und der Regierung nur eine ausführende und technische Rolle zu. Damit wird sich Putin nicht zufriedengeben. Die Macht liegt beim Präsidenten und ist im Kreml angesiedelt. Die wichtigsten Ministerien – das Innen-, Verteidigungsministerium und die Sicherheitsdienste – sind dem Kreml unterstellt, wo auch die Außenpolitik entworfen wird.

Mit einer komfortablen Mehrheit in der Duma wäre es kein Problem für Putin – als Präsident oder Premier –, die Verteilung der Macht zu seinen Gunsten zu verändern. Das politische System Russlands ist auf eine kompromisslose und autoritäre Vertikale zugeschnitten. Sollte ein zweites Machtzentrum entstehen, würde das unweigerlich den Abgesang des Staates in seiner jetzigen Form herbeiführen. Zwar hat Putin mit Premier Wiktor Subkow einen Nachfolger auserkoren, der keine eigenen politischen Ambitionen zu verfolgen scheint. Sobald der Neue mit den Insignien der Macht ausgestattet ist, könnte sich aber auch dies ändern. Die Lakaien bei Hofe wären über Nacht bereit, auch andere Stiefel zu lecken. Das ist die Quintessenz der russischen Geschichte.

Daher bleibt Putin kaum eine andere Wahl, als die Rolle des Präsidenten möglichst noch vor dessen Inthronisierung in eine repräsentative Funktion mit einer dekorativen Kulisse zu verwandeln. Ein weiteres in der russischen Öffentlichkeit diskutiertes Szenario geht davon aus, dass Thronfolger Subkow nach kurzer Zeit aus Gesundheitsgründen zurücktritt. Dies würde Putin die Möglichkeit eröffnen, im Einklang mit der Verfassung ein drittes Mal zu kandidieren. Jedoch birgt auch diese Variante noch ein Restrisiko. Aber wer will schon wissen, was Wladimir, der Illusionskünstler, nicht noch an Überraschungen im Köcher hat?

Eins hat die Scharade um die Präsidentschaftsnachfolge gezeigt: Putin ist einsam und traut in seiner Umgebung niemandem. Darunter fallen auch die bis vor kurzem noch als potenzielle Nachfolger gehandelten Vizepremiers Dmitri Medwedjew und Sergei Iwanow. Putin ließ sie offensichtlich fallen, weil er sie als Garanten seiner Sicherheit nicht für ausreichend verlässlich hielt.

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