: Der widerständige Körper
BÜHNE Die HipHop-Szene Dakars ist derzeit zu Gast in Hamburg: Beim Tanz- und Musikprojekt „Political Bodies“ auf Kampnagel wirken Rapper aus dem Senegal mit, die vor wenigen Jahren bei den Protesten gegen Ex-Staatspräsident Abdoulaye Wade dabei waren
VON CARLA BAUM
Gerade sind die Temperaturen in Hamburg unter null gesunken. Dafür strahlt die Sonne vom Himmel. „Einer der Tänzer fragte mich heute, ob er wohl im Pulli rausgehen könne“, erzählt die Choreografin Yolanda Gutiérrez, die sich gerade für die Probe warm macht. An den deutschen Winter mögen sich die sechs Senegalesen, die seit zwei Wochen in Hamburg sind, noch nicht gewöhnt haben.
Der Proberaum auf Kampnagel, wo ihr Stück „Political Bodies“ entsteht, scheint hingegen schon ihr Ersatzzuhause geworden zu sein. Kurz vor der Probe kippelt Rapper Matador entspannt auf einem Stuhl und telefoniert, DJ Zen Jefferson und „Papa“ Vieira stecken hinter einem iPad die Köpfe zusammen, die B-Boys Ben-J und Abdallah sind gerade von einem Mittagsschlaf aufgewacht.
In ihrer Heimat sind die jungen Männer bekannte Tänzer oder Rapper, einige sind international unterwegs, treten auf und geben Workshops. Dakars HipHop-Szene besteht aus über 1.000 Crews, schätzt der Dramaturg Jens Dietrich. „Die HipHop-Kultur spielt eine große Rolle im Senegal“, sagt er. „Über politischen Rap und Breakdance wird die Jugend erreicht. So auch bei den Protesten 2011 und 2012.“ Als im Norden Afrikas die Arabische Revolution tobte, formierte sich im Senegal im Vorfeld der Präsidentschaftswahl die Protestbewegung „Y’en a marre“ (auf Deutsch: Mir reicht’s!). Diese stellte sich gegen den Präsidenten Abdoulaye Wade, der sich zum dritten Mal zur Wahl stellen lassen wollte, obwohl in der Verfassung nur zwei Amtszeiten vorgesehen waren.
Von dieser Protestbewegung ist das Tanz- und Musikprojekt „Political Bodies“ inspiriert, das hier unter der Leitung von Gutiérrez und Dietrich in nur fünf Wochen Probezeit auf die Beine gestellt wird. „Für mich spielte besonders die Frage eine Rolle: wie verbindet sich politischer Aktivismus mit körperlichem Ausdruck?“, erklärt Gutiérrez. Sie lernte einige der Tänzer bei einem Besuch an der renommierten Tanzschule „Ecole des Sables“ in Dakar kennen und wusste sofort, dass sie mit ihnen zusammenarbeiten wollte. Für die Ausarbeitung des Stücks setzten sich Dietrich und Gutiérrez mit den Tänzern zusammen und fragten sich: Welches sind die Worte, die zum Widerstand gehören? Wie kann man diese im Tanz umsetzen? Was ist dein persönlicher „Political Body“? „Political Bodies“ ist geprägt von den persönlichen Geschichten der Tänzer.
Im ersten Teil des Abends geht es um die verschiedenen Momente des Kampfes und des Widerstandes. Mal schließen sich die Tänzer zu Formationen zusammen und stellen sich vereint einem unsichtbaren Gegner entgegen, mal bewegen sie sich losgelöst von der Gruppe über die Bühne. Ihre Tanzstile – beeinflusst von unterschiedlichen Richtungen wie Dancehall, Krumping, ein in Los Angeles entstandener Tanzstil, oder traditionellen afrikanischen Tänzen – fließen in ihre Bewegungen mit ein, um an einigen Stellen einzeln hervorgehoben zu werden. „Diesen Wechsel von einem aus vielen bestehenden Protestkörper zu Momenten der Einsamkeit, des Auf-sich-allein-Gestelltseins, den es in jedem Kampf gibt, wollten wir hervorheben“, erklärt Dietrich. Damit entsteht ein interessanter dynamischer Wechsel von der enthusiastischen Demonstration von Stärke zu individueller Verletzlichkeit.
Der zweite Teil des Stücks widmet sich der Zeit nach dem Kampf und der Frage, wie es nach den Protesten weitergehen soll. „Y’en a marre“ war erfolgreich, Präsident Wade trat 2012 nach der zweiten Amtszeit ab. Wie soll das neue Senegal aussehen? Im Gespräch mit den Tänzern und Rapper Matador wird klar, wie wichtig es den jungen Männern ist, in die Gestaltung der Zukunft ihres Landes involviert zu sein.
Ihr politisches Engagement ist eng mit der HipHop-Kultur verknüpft. „Es ist wichtig, die Jugend für politische Themen zu sensibilisieren, ihnen zu zeigen, dass sie eine Stimme haben“, sagt Rapper Matador, der ein Zentrum für HipHop-Kultur in Dakar ins Leben gerufen hat. „So viele junge Menschen fangen hier auf der Straße mit dem Tanzen an. Sie sollen wissen, dass das nicht bloß eine Freizeitbeschäftigung ist, sondern auch ein starkes Ausdrucksmittel.“
Bei der Auseinandersetzung mit politischen Angelegenheiten geht es für die Tänzer immer auch um die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes und der HipHop-Kultur. „Vom Senegal aus sind früher viele Sklaven nach Amerika ausgereist“, sagt der 30-jährige Tänzer Vieira. „Später entwickelte sich dort HipHop als Kultur der Afroamerikaner. Dadurch, dass wir HipHop in Afrika stark machen, kommt diese Kultur gewissermaßen zu ihren Wurzeln zurück.“ Viera und die anderen Tänzer weisen außerdem darauf hin, dass Rap seine Ursprünge bei den westafrikanischen Griots hat. Griots waren Sänger und Dichter, die traditionelles Wissen und Geschichten mündlich überlieferten.
Trotz seiner starken Fundierung in den persönlichen Geschichten der Tänzer und ihres Landes ist „Political Bodies“ kein Stück nur über Dakars politische HipHop Szene oder den Widerstand im Senegal geworden. Denn es geht um Themen, die überall auf der Welt eine Rolle spielen: Aufbegehren, Mobilisierung, unfertige und sich verändernde Lebenswelten. Die globale Kultur des HipHop mit ihren vielen verschiedenen Stilen und Richtungen bietet diesen Themen eine angemessene Plattform. Und sie eignet sich, wie „Political Bodies“ zeigt, nicht nur für die Straße, sondern auch bestens für die Bühne.
■ Yolanda Gutiérrez und Jens Dietrich: „Political Bodies“. Aufführungen 4. bis 7. Februar, jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20. Tickets: 15/8 Euro