: Soldat des Friedens
PAULSKIRCHE Der deutsche Buchhandel ehrt in diesem Jahr den algerischen Schriftsteller Boualem Sansal. Ein Ausschnitt aus seiner Dankesrede
■ Erst als er 50 Jahre alt war, begann die literarische Karriere des ehem. Direktors im algerischen Industrieministerium, der heute in der Nähe von Algier lebt. 2009 erschien sein jüngster Roman, „Das Dorf des Deutschen“, auf Deutsch.
Nun möchte ich zu jenen Dingen kommen, die ich Ihnen sagen möchte, weil sie mir so am Herzen liegen. Als Erstes möchte ich auf jenen für mich nun denkwürdigen Tag im Mai dieses Jahres zurückkommen, den 10. Mai, um genau zu sein, an dem ich aus Deutschland einen Brief von Herrn Gottfried Honnefelder bekam, in dem mir die unglaubliche, unvorstellbare Nachricht übermittelt wurde, mir werde im Jahr 2011 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. (…)
Offen gestanden begriff ich erst einmal gar nichts. Es musste sich um ein Missverständnis handeln; durch eine Kette von Irrtümern war aus mir, einem bescheidenen Schriftsteller und Gelegenheitsaktivisten, einem Schreiberling, wie es in offiziellen Kreisen Algiers über mich heißt, auf einmal der Träger dieser renommierten Auszeichnung geworden. (…)
Ich soll einen Friedenspreis bekommen?, habe ich mich gefragt, ausgerechnet ich, der ich seit jeher im Krieg lebe, in meinen Büchern nichts anderes behandle als den Krieg und vielleicht auch an nichts anderes glaube als an den Krieg, denn der Krieg ist stets auf unserem Weg, und eigentlich existieren wir nur durch ihn, denn er lässt uns das Leben wertschätzen, lässt uns vom Frieden träumen und nach dem Frieden streben, und unsere algerische Geschichte ist nun mal leider so, dass wir im Lauf der Jahrhunderte nie die Wahl zwischen Krieg und Frieden hatten, sondern nur zwischen Krieg und Krieg. (…)
Kopernikanische Revolution
Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich kurz auf die arabischen Revolten und den israelisch-palästinensischen Konflikt eingehen. Wir spüren alle, dass sich seit der tunesischen Jasminrevolution in der Welt etwas geändert hat. Was in der verknöcherten, komplizierten und schwarzseherischen arabischen Welt unmöglich schien, ist nun eingetreten: Die Menschen kämpfen für die Freiheit, sie engagieren sich für die Demokratie, sie öffnen Türen und Fenster, sie blicken in die Zukunft, und diese Zukunft soll erfreulich und soll ganz einfach menschlich sein.
Was derzeit geschieht, ist meines Erachtens nicht nur eine Jagd auf alte bornierte und harthörige Diktatoren, und es beschränkt sich nicht auf die arabischen Länder, sondern es kommt eine weltweite Veränderung auf, eine kopernikanische Revolution: die Menschen wollen eine echte universelle Demokratie, ohne Grenzen und ohne Tabus. Alles, was das Leben ramponiert, verarmen lässt, beschränkt und denaturiert, ist dem Gewissen der Welt unerträglich geworden und wird mit aller Macht abgelehnt. Die Menschen lehnen Diktatoren ab, sie lehnen Extremisten ab, sie lehnen das Diktat des Marktes ab, sie lehnen den erstickenden Zugriff der Religion ab, sie lehnen den anmaßenden und feigen Zynismus der Realpolitik ab, sie verweigern sich dem Schicksal, auch wenn dieses das letzte Wort haben mag. (…) Es entsteht ein neues Bewusstsein, und in der Geschichte der Nationen ist das eine Wende, wie man das in Ihrem Land beim Fall der Mauer nannte.
Im Zuge all dieser Rebellionen wollen auch immer mehr Menschen nicht mehr hinnehmen, dass der älteste Konflikt der Welt, nämlich der israelisch-palästinensische, noch weiter andauert und morgen auch noch unsere Kinder und Enkel betrübt. (…)
Wir möchten, dass die beiden Völker frei und glücklich und brüderlich leben. Wir sind davon überzeugt, dass der in Tunis angebrochene Frühling auch in Tel Aviv, in Gaza, in Ramallah eintreffen wird, er wird nach China kommen und selbst noch weiter. Es ist ein Wind, der in alle Richtungen weht.
Bald wird er Palästinenser und Israelis im Zeichen der gleichen Wut vereinen, dann kommt über den Nahen Osten die Wende, und mit herrlichem Getöse werden sämtliche Mauern fallen. Das wahre Wunder bestünde aber nicht darin, dass Israelis und Palästinenser eines Tages einen Frieden schließen, denn das könnten sie leicht, innerhalb von fünf Minuten, an einem Küchentisch, und mehr als einmal waren sich auch schon ganz nahe daran; das wahre Wunder wäre vielmehr, dass diejenigen, die sich als Paten, als Tutoren und Berater der beiden Länder aufspielen, ja mehr noch, als unnachgiebige Propheten, endlich einmal aufhören, ihnen ihre eigenen Hirngespinste aufzuladen. (…)
Wichtiger Schlag ins Wasser
Der Antrag auf Anerkennung eines unabhängigen und souveränen palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967, den Präsident Mahmud Abbas der UNO vorlegt hat, war ein Schlag ins Wasser, das wussten wir bereits im Voraus; doch bin ich der Meinung, dass dieser kleine Schlag, selbst wenn er danebenging, sich noch als großer Schlag erweisen wird, so entscheidend wie die Selbstverbrennung des jungen Tunesiers Bouazizi, die die arabische Welt entflammte. (…)
Zum ersten Mal seit sechzig Jahren haben die Palästinenser nur aus eigenem Willen heraus gehandelt. Sie sind nach New York gekommen, weil sie selbst es wollten, und sie haben niemanden gebeten, diesen Schritt zu genehmigen oder für ihn geradezustehen, weder die arabischen Diktatoren, die wir einen nach dem anderen absägen, noch die Arabische Liga, die nun nicht mehr die Kriegstrommel rührt, noch irgendeinen Mufti aus einem islamistischen Hinterzimmer.
Zum ersten Mal haben Palästinenser im Dienste Palästinas agiert und nicht als Instrument im Dienste einer mythischen arabischen Nation oder einer leider sehr reellen dschihadistischen Internationale. (…) Traurig ist, dass ein Mann wie Obama, dieses wunderbare Bindeglied zwischen den beiden Hemisphären unseres Planeten, dies nicht verstanden und damit auch die Gelegenheit nicht ergriffen hat, auf die er seit seiner berühmten Kairoer Rede doch gelauert hatte. (…)
Wir müssen uns alle von dem Gedanken lösen, dass sich ein Friede aushandeln lässt. Aushandeln lassen sich Modalitäten, Formen, Etappen, aber der Frieden selbst ist ein Prinzip; er muss öffentlich verkündet werden, auf feierliche Weise. Man muss sagen: Friede, Schalom, Salam, und sich dann die Hand reichen. Das hat Abbas getan, als er zur UNO gegangen ist, und das hat Sadat getan, als er nach Tel Aviv ging. Ist es ein bloßer Traum, wenn man sich wünscht, dass Netanjahu ein Gleiches tut, indem er zur UNO geht oder nach Ramallah und dort das Prinzip des Friedens verkündet?
BOUALEM SANSAL