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Archiv-Artikel

Flucht vor dem Numerus clausus

STUDENTEN Die Hochschulen verzeichnen neue Bewerberrekorde und erhöhen ihre Zugangshürden. Immer mehr Abiturienten studieren deshalb lieber gleich im Ausland

Erstsemesterrekord

■ In diesem Jahr werden 500.000 Studienanfänger in Deutschland erwartet. Bayern meldet 85.000 neue Studierende zum Wintersemester – 6.000 mehr als aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge und der Aussetzung der Wehrpflicht prognostiziert. In Berlin haben sich, nach Auskunft des Senats, erstmals über 30.000 Erstsemester eingeschrieben. (taz)

VON JAKOB SCHULZ

BERLIN taz | Ausgerechnet ihren müden Füßen verdankt Patricia van der Berg ihr Traumstudium. Den ganzen Tag war die Abiturientin über eine Ausbildungsmesse gelaufen. Weil die Füße weh taten, setzte sie sich in eine Infoveranstaltung. Auf dem Podium: ein Vertreter der Universität Nijmegen in den Niederlanden. Heute blickt Patricia auf drei Jahre Studium in den Niederlanden zurück.

In Nijmegen studiert die 22-Jährige Molekulare Lebenswissenschaften, eine Mischung aus Biologie, Chemie und Medizin. Um an einer deutschen Uni Biomedizin studieren zu können, hätte Patricia einen Abischnitt von 1,1 gebraucht, erinnert sie sich. „Mit meiner Abinote von 1,5 hätte ich auf jeden Fall auf den Studienplatz warten müssen.“

In vielen Fächern ist der Numerus clausus in den vergangenen Jahren spürbar höher geworden. Hintergrund sind die steigenden Studierendenzahlen in Deutschland: Seit Jahrzehnten sind diese kontinuierlich gestiegen, bis auf rund 2,2 Millionen im vergangenen Jahr. Wer durch höhere Zugangshürden in Deutschland keinen Studienplatz bekommt, den zieht es nach dem Abitur immer häufiger direkt ins Ausland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2008 fast 80.000 Deutsche im Ausland eingeschrieben – mehr als doppelt so viele wie noch zu Beginn des Jahrzehnts.

Experten bestätigen den Trend zum kompletten Studium im Ausland. „Nachdem die deutschen Hochschulen ihre Ablehnungen verschickt haben, ist die Zahl der Anfragen in den letzten Wochen nochmals stark gestiegen“, sagt Hilka Leicht vom International Education Centre (IEC), einer Vermittlung für Auslandsstudienplätze. Besonders attraktiv seien wirtschaftliche Studiengänge. „Wirtschaft ist ein Bereich, wo Studierende später international vernetzt sein müssen“, sagt Leicht. Nicht sinnvoll sei es dagegen, Fächer wie Lehramt, Architektur oder Jura im Ausland zu studieren.

Am beliebtesten bei den deutschen Exilanten sind Österreich, die Niederlande und Großbritannien. Studierten im Jahr 2000 noch gut 5.600 Deutsche in Österreich, waren es 2008 bereits knapp 20.000 – mehr als dreimal so viele. Noch deutlicher ist der Trend in den Niederlanden. 2000 studierten dort etwa 2.400 Deutsche, acht Jahre später ist ihre Zahl um das Achtfache gewachsen.

2000 studierten noch gut 5.600 Deutsche in Österreich, 2008 bereits knapp 20.000

An der Radboud-Universität Nijmegen setzt sich diese Entwicklung fort. Im vergangenen Jahr studierten dort bereits über 1.000 Deutsche, jetzt erwartet die Hochschule einen Anstieg von 10 Prozent. Hier ist man über das Interesse aus Deutschland erfreut. Jedes Jahr werben die Radboud-Universität und andere niederländische Hochschulen auf Karrieremessen um den Nachwuchs aus Deutschland.

Die Abinote spielt anders als in Deutschland in den Niederlanden keine Rolle. Patricia van der Berg musste nur nachweisen, in der Schule einen Leistungskurs Biologie oder Chemie besucht zu haben. Nach drei Jahren Studium ist sie noch immer begeistert. „Die Fakultät ist supermodern und wir haben ein unglaubliches Betreuungsverhältnis“, schwärmt die 22-Jährige. Rund 850 Euro Studiengebühren werden dafür pro Semester fällig – die bezahlen ihre Eltern.

650 Kilometer trennen sie von ihrer Heimatstadt Berlin. „Die Sprache, Heimweh, das erste halbe Jahr war schwierig“, erinnert sie sich. Doch gerade die Offenheit der Niederländer hat Patricia zu schätzen gelernt. Deshalb musste die 22-Jährige auch nicht lange überlegen, wie es nach dem Bachelor weitergehen soll. „Den Master mache ich auf jeden Fall noch in Nijmegen.“