WOLLEN WIR DIE SPIELE?
: Heil dir, Olympia!

Das Brandenburger Tor glimmt in Discofarben

Ausgang. Im Haus praktiziert Parterre ein veritabler Hausarzt. „Schönen Tag noch, Herr Raddatz“, ruft die Sprechstundenhilfe und hält weit die Tür auf. Herr Raddatz ist gebrechlich, er wackelt hinaus. Eine Stufe muss er nehmen, dann ist er auf dem Bürgersteig. „Schönen Tag noch, junge Frau!“, krächzt Herr Raddatz und lupft den Hut. Die Sprechstundenhilfe von Dr. K. blickt ihm nach.

Im vor der Tür geparkten Rad liegen im Körbchen vegane Picknickreste von fremden Menschen. Schnell aufs Trottoir kippen. Zu spät dran. Termin wartet nicht, oder doch? Am Maybachufer von Ordnungsamtvollstrecker gestellt. Message: Radeln auf dem Bürgersteig unter Strafe nicht erlaubt. Gegenmessage: Der Steig ist so dermaßen breit, das Kopfsteinpflaster so dermaßen hart und man hat es so dermaßen eilig. Vollstrecker knickt stante pede ein, „fahren Sie weiter!“. Eiliger Versuch eines angedeuteten, bezaubernden Lächelns. 16 Minuten später abgehetzte Ankunft vor Café Einstein Unter den Linden. Termin simst: „Sind auf der Zielgeraden.“ Rad abschließen, im geöffneten Kurzzeitfenster vor sich hin gucken. Fast schon vergessen, da gegenüber – dieses realsozialistische Aeroflot-Gebäude im Raumschiff-Enterprise-Stil. Gleich darauf Gedanken drangeben, warum Unter den Linden so eine Fadheit regiert. Zu keinem Ergebnis kommen. Touristen für alles in Berlin die Schuld geben, ist auch nicht die feine Art.

Wenig später sehr guten Apfelstrudel mit reichlich Schlagobers und dem eingetroffenen Termin essen. Nach Beendigung auseinandergehen und Kurs nehmen auf Brandenburger Tor. „Heil dir, Olympia!“ Das Tor ist verunstaltet durch eine Lichtprojektion von Flaggen aus aller Welt und glimmt in Discofarben. Unter der Quadriga leuchtet allerdings doch nicht „Heil dir, Olympia!“, sondern „Wir wollen die Spiele!“. Macht genau 1.936 Lettern. Blödsinn. HARRIET WOLFF