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Archiv-Artikel

crime scene Aus dem heutigen Wrocław ins alte Breslau: ein neuer Krimi von Marek Krajewski

In „Gespenster in Breslau“, Marek Krajewskis drittem Roman um den zynisch-melancholischen Kriminalbeamten Eberhard Mock, kommen gleich mehrere Genres zusammen, die im Allgemeinen nicht gerade als Königsdisziplin künstlerisch ambitionierter Belletristik gelten. Der Serienkillerroman geht hier eine enge Liaison ein mit dem überholt geglaubten Genre des Schauerromans, dem historischen Kriminalroman und sogar mit, könnte man mit etwas gutem Willen anfügen, dem Regionalkrimi, wenn das nicht eine so deutsche Kategorie wäre. Doch völlig falsch ist es auch wieder nicht, denn Krajewskis Krimis nehmen es nicht nur mit ihrem schlesischen Schauplatz sehr genau, sondern spielen sämtlich in Breslau zu einer Zeit, als es eine deutsche Stadt war und noch nicht Wrocław hieß.

Der Autor Marek Krajewski ist Altphilologe, der im heutigen Wroclaw als Universitätsdozent in einem Gebäude sitzt, das bis zum letzten Weltkrieg das deutsche Polizeipräsidium beherbergte. In seiner Freizeit schreibt er Kriminalromane, die allesamt den ehemals deutschen Namen dieser polnischen Großstadt im Titel tragen; auch das ist möglich in Polen. Krajewski verfertigt seine Romane zeitlich von hinten nach vorn: Der erste spielte in den Dreißigerjahren, der zweite in den Zwanzigern, und der dritte ist nun, der Rückwärtschronologie konsequent folgend, im Jahre 1919 angekommen. Kriminalassistent Eberhard Mock, sechsunddreißig Jahre alt, der abwechselnd als „gut gebaut“, „etwas übergewichtig“ und „der Dunkelhaarige“ beschrieben wird, ist erst ein Jahr aus dem Krieg zurück, als eine Mordserie ihren Anfang nimmt. Vier junge Männer werden tot aufgefunden, nackt, die Augen ausgestochen und einen Lederschurz um die Lenden. Auf den Köpfen sitzen Matrosenmützen. Bei den Leichen findet sich eine direkt an Mock adressierte Botschaft: Er solle seinen Fehler zugeben, damit nicht noch mehr Menschen stürben. Da Mock keine Ahnung hat, um welchen Fehler es sich handeln mag, kommt es wie angedroht: Mehr Menschen sterben, und sie verfolgen den meist verkaterten Kriminalbeamten, der mit seinem alten Vater in einer Stube über einem ehemaligen Fleischerladen wohnt, mit ihren ausgestochenen Augen bis in einen sehr unruhigen Schlaf. Grusel! Als Mock dahinterkommt, dass er Opfer von Okkultisten geworden ist, haben die Leichenbestatter der Stadt schon einiges zu tun bekommen. Aber das gehört sich für einen Schauerroman ja auch so.

Natürlich sind Krajewskis Romane kein getreues historisches Sittengemälde des realen wie versunkenen Breslau. Man darf sie als eine düstere Moritat goutieren, als literarisches Spiel mit einem wiederbelebten Populärgenre mit all der übertriebenen Gestik, die dazugehört. Die Geschliffenheit der Sprache – in der wunderbaren deutschen Übersetzung von Paulina Schulz – und die Vorliebe des Autors und seiner Figuren für lateinische Zitate verleihen der Lektüre dabei das dezente Gepräge feiner intellektueller Ironie. Dazu kommt eine merkliche Freude an der detailreichen Schilderung von Kleidung, Gebrauchsgegenständen, Fahrzeugen und Gepflogenheiten der Zeit, was bei aller unterstellten historischen Korrektheit stets den Eindruck von akkurat dosiertem Übereifer vermittelt. Das Zwischenkriegsbreslau, das bei Krajewski überwiegend von leichten Mädchen und schweren Jungs bevölkert scheint, wird mit derselben besessenen Detailverliebtheit zu einem Hort morbider Décadence stilisiert – zu einer attraktiven, wenngleich übertrieben düster ausgestatteten Filmkulisse. Man kann sich vorstellen, wie viel Spaß der Herr Dozent beim Schreiben hatte.

Man selbst kann sich in der Sofaecke zurücklehnen und sich amüsiert ein bisschen gruseln lassen, ohne wirklich Angst vor schlechten Träumen haben zu müssen. Die überlasse man getrost dem Herrn Mock.

KATHARINA GRANZIN

Marek Krajewski: „Gespenster in Breslau“. Aus dem Polnischen von Paulina Schulz. dtv, 315 Seiten, 14,50 Euro