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Archiv-Artikel

„Barschel hatte ja Pläne“

Der Tod des ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel ist ein Kriminalfall ohne Auflösung. Dennoch sprechen viele Hinweise für Mord, sagt der ermittelnde Staatsanwalt in Lübeck, Heinrich Wille

HEINRICH WILLE, 62, leitet seit 1992 die Staatsanwaltschaft Lübeck. Im Dezember 1994 nahm er die Ermittlungen im Fall Barschel auf.

INTERVIEW DANIEL WIESE

taz: Herr Wille, Sie sagen, dass im Fall Barschel weiterhin der Anfangsverdacht auf Mord besteht. Selbstmord schließen Sie aus?

Heinrich Wille: Nein, ich schließe gar nichts aus. Aber sehen Sie, Selbstmord interessiert die Staatsanwaltschaft eigentlich nur unter einem Gesichtspunkt: Wenn Selbstmord sicher ist, entfällt der Anfangsverdacht auf Mord. Ich würde als Staatsanwalt diese Diskussion gar nicht so hochgezogen haben. Ich habe viele Argumente, die ich damals schon hatte und die gegen Selbstmord sprechen, nicht vorgetragen, weil das nicht mein Thema war. Wichtig ist Folgendes: In dem Maße, in dem Selbstmord unwahrscheinlich wurde, und das wurde er im Laufe der Ermittlungen immer mehr, wurde Mord wahrscheinlicher.

Was spricht gegen Selbstmord?

Da spricht einiges gegen. Punkt eins: Man muss sich schon Gedanken machen, was Uwe Barschel für eine Persönlichkeit war. Selbstmord begeht nur, wer eine Veranlagung hat, sich so zu verhalten. War Barschel eine suizidale Persönlichkeit? Ich hätte immer gesagt: dieser Mann nicht.

Da kann man sich täuschen.

Das bleibt nicht aus. Aber Punkt zwei ist: War die Situation für ihn so ausweglos, dass sich alles auf die Möglichkeit des Selbstmordes einengte? Das schien der Öffentlichkeit anfangs so zu sein. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass es so zwangsläufig gar nicht in diese Richtung ging. Seine Bilanz war schlecht genug, aber die Situation war nicht ausweglos für einen Mann, der eine starke Persönlichkeit war, der kämpfen konnte.

Was hätte er denn noch werden können?

Er hatte ja Pläne, das spricht ebenfalls gegen Selbstmord. Er hatte die Überlegung, sich beruflich nach Kanada zu verändern, dort eine Gastdozentur anzunehmen, er war ja doppelt promoviert. Kanada lag nahe, weil sein Bruder da schon einmal beruflich tätig war. In Kanada gab es auch einen Zweig der Familie Barschel, das hatte er in seiner Ahnenforschung aufgearbeitet. Es gab auch noch andere Alternativen, er hätte sicher im Bereich der Wirtschaft ein Tätigkeitsfeld gefunden. Er hatte da ja Freunde, er hatte einen Kurzurlaub gemacht auf Gran Canaria im Haus von Herrn Lechner.

Wer war Herr Lechner?

Herr Lechner war Unternehmer, man sagte seinerzeit „Baulöwe“, aber das hörte er nicht so gern. Der dritte Punkt ist: Er hatte zwar eine gewisse strafrechtliche Verfolgung zu befürchten wegen seiner eidesstattlichen Versicherung …

war das das berühmte „Ehrenwort“?

Ja, bei der Gelegenheit hat er die vorgelegt. Das war sicher übel, was er da gemacht hatte, aber so viel hatte er auch wieder nicht zu befürchten. Er hätte wahrscheinlich die Möglichkeit gehabt, wieder in seinem Notar- und Anwaltsberuf aktiv zu werden. Er war 43 Jahre alt, das war seinerzeit für einen Politiker noch kein Alter. Er hatte guten Kontakt zu Franz-Josef Strauß, der als politischer Überlebenskünstler ja auch Legende geworden ist. Das hätte Barschel auch geschafft, denke ich, so wie er strukturiert war. Konkret hatte er ja vor, sich mit seinem Bruder und seinen Kindern zum Frühstück zu treffen. Er hatte sich verabredet, er hatte sich dazu sogar Notizen gemacht. Und er wollte vor dem Untersuchungsschuss aussagen. Es ist überliefert, dass er zwei Wochen zuvor zu einem Gesprächspartner aus der CDU gesagt hat, „wenn die in Bonn mich fallen lassen, werden die mich kennen lernen“.

Was hat er damit gemeint?

Was er auspacken wollte, weiß man nicht, was er auspacken konnte, weiß man auch nicht. Aber darauf kommt es nicht an. Es bestand die Möglichkeit, dass er Wissen hatte. Und diese Möglichkeit hing ganz konkret mit der Lieferung von Blaupausen von U-Booten der Kieler HDW-Werft nach Südafrika zusammen.

Das wissen Sie aus Ihren Ermittlungen?

Das ist das Ergebnis von Untersuchungsausschüssen. Es ist dokumentiert, dass dort illegal vorgegangen wurde. Es war auf jeden Fall ein Verstoß gegen eine UNO-Resolution. Dazu hätte er als Ministerpräsident eines Bundeslandes, das mit 25 Prozent an der HDW-Werft beteiligt war, einiges sagen können. Ob er von anderen Dingen wusste, ist nicht gesichert, aber denkbar, wenn auch nicht hart durch unmittelbare Zeugen belegt.

Das schreibt ja der Generalstaatsanwalt in seiner Stellungnahme, dass die Mordtheorie an diesem Punkt zusammenbricht, weil es keine direkten Zeugen gibt.

Ich kann immer nur wiederholen: Es kam überhaupt nicht darauf an, was er wusste. Es kam darauf an, was andere meinten, was er hätte wissen können. Ob sie bereit waren, dieses Risiko einzugehen, dass er Dinge, die unkontrollierbar waren, auspackte.

Das ist jetzt die Psychologie. Aber was ist mit den Spuren im Hotelzimmer? Ah, ich sehe, Sie haben eine Skizze.

Daran wird es deutlich. Hier ist das Badezimmer, hier ist Durchgang, und hier lag der Hemdknopf. Da brauch ich gar keine großen Gutachten, da muss ich mir nur überlegen, wie ist es möglich, dass bei einem Mann, von dem wir ja wissen, dass seine Krawatte zugebunden und hochgezogen war, wie ist es denn möglich, dass dieser Hemdknopf abgegangen ist. Ich kann jedem Krawattenträger nur empfehlen, den Versuch zu machen, sich den zweitobersten Hemdknopf abzureißen.

Vielleicht war er lose?

Nein, es ist ein Stück aus dem Hemd mit ausgerissen, das ist festgestellt worden. Das ist kein offener Kampf, aber das hat er nicht selber gemacht. Und wenn es denn Sterbehelfer gegeben haben sollte …

eine Theorie, die derzeit stark diskutiert wird …

… dann sind die dazu da, das zu verhindern. Die Gesellschaft heißt Gesellschaft für humanes Sterben. Die Sterbehelfer werden ihn nicht in einen Zustand versetzt haben, dass er so verzweifelt war, sich einen Hemdknopf abzureißen. Sie werden auch nicht zugelassen haben, dass er ein zweieinhalb Zentimeter großes Stirnhämatom bekommt. Allein hätte er sich das vermutlich nicht zufügen können. Barschel kann keine Krämpfe bekommen haben, dergestalt, dass er etwa mit der Stirn auf die Badewanne aufschlug, denn er hatte ja soeben Medikamente zu sich genommen, die so etwas verhindern sollten. Und es sind auch noch andere Dinge, aber vielleicht führt das zu weit.

Nein, sagen Sie!

Es geht beispielsweise auch um die verschwundene Beaujolais-Flasche. Wenn es Medikamentenverpackungen gegeben hätte, gibt es die Veranlassung, diese zu beseitigen, im Falle eines denkbaren Selbstmordes genauso wie

bei einem Mord, damit eine Reanimierung erschwert wird. Bei Selbstmord gibt es aber nicht denselben Grund, die Beaujolais-Flasche zu beseitigen. Denn wenn man die Analyse des Inhalts gemacht hat, ist der Mann längst tot.

Der Hintergedanke dabei ist, dass die Weinflasche den tödlichen Giftcocktail enthielt.

Es ist vorstellbar, dass es Spurenbeseitigung war, zumal eben auch ein Whiskyfläschchen aus der Minibar gefunden wurde, und dieses Fläschchen war ausgespült. Und in diesem Whiskyfläschchen wurde eines der vier in seinem Körper befindlichen Medikamente nachgewiesen.

Und warum ist das Whiskyfläschchen nicht auch verschwunden?

Na, eine Beaujolais-Flasche ist ein bisschen auffälliger als ein Whiskyfläschchen. Und dass jemand auf die Idee kommt, ein bereits ausgespültes Whiskyfläschchen noch einmal zu analysieren, war nun weiß Gott sehr fernliegend. Es ist ja auch so, der Nachweis von Medikamenten in der Flasche weist mehr auf Mord hin als auf Selbstmord. Denn der Selbstmörder wird sich das im Zweifel im Glas mixen. Warum soll er die ganzen Tabletten in die Flasche stopfen? Ich gehe übrigens davon aus, dass es gar keine Tabletten gegeben hat, die Spekulation um die Verpackungen ist müßig. Das waren flüssige Lösungen. Bei einem professionellen Mord mit Gift wird das Chemielabor derjenigen sicher in der Lage gewesen sein, das zu extrahieren.

Gespritzt worden kann es nicht sein?

Es gibt keine Hinweise auf Spritzspuren, auch nicht für das Einflößen mit einem Schlauch. Das ist nicht ausgeschlossen, aber ich halte es für wahrscheinlicher, dass es getrunken wurde. Er war ja mit jemandem verabredet.

Mit diesem mysteriösen Roloff.

Ob mit Roloff oder jemand anderem. Ich denke, er war mit seinen Mördern verabredet. Das wusste er nur nicht. Möglicherweise war es ursprünglich auch gar nicht geplant, sondern man wollte erst den Grad der Entschlossenheit testen, beim Untersuchungsausschuss auszusagen.

Was halten Sie von der Theorie, dass ein Schuh von Barschel präpariert worden ist? Offenbar war da ja Farbe abgegangen.

Nicht nur Farbe, auch die Aluminiumflakes auf der Innenseite hatten sich gelöst. Die haben sich außerhalb des Innenschuhs befunden, unter der Schuhsohle. Wasser konnte das nicht gemacht haben, das haben wir feststellen lassen. Das muss mit Hilfe eines Lösungsmittels geschehen sein.

Und was könnte der Sinn dieser Aktion gewesen sein?

Das kann ich nur vermuten. Die Annahme ist, dass man sich für alternative Methoden gewappnet hat. Wenn das eine nicht zum Zuge gekommen wäre, hätte man eben das andere gemacht. Es war ein Mittel, das durch die Haut andere Mittel transportieren kann.

Zum Beispiel Gifte?

Das ist denkbar. Aber es musste in einem Gefäß sein. Und man braucht dafür Schutzhandschuhe, wenn man das korrekt macht.