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Archiv-Artikel

Tommy ist im falschen Film

Ein bisschen Blauhelm sind wir alle. Thor Bjørn Krebs’ Stück „Tommy“ in der Schaubühne

Tommy will Ingenieur werden. Und das geht besser, wenn man vorher noch ein bisschen Krieg gespielt und früh aufzustehen gelernt hat. Zumindest, wenn es nach seinen Eltern geht. Wenn es nach Tommy geht, geht das mit dem Disziplinlernen so: Man wird UN-Soldat und „Runter geht’s ins Jugoland / Schnappst dir dort ein Weib / Rein mit deinem dicken, fetten, großen Schwanz / Bis sie schließlich schreit.“

Die Bestuhlung im Studio der Schaubühne, wo dieser Tommy auftritt, ist im Karree angeordnet, man sitzt also sich und ihm recht nah gegenüber, Wohnzimmerintimität. Der junge Regisseur Benedikt Haubrich inszeniert „Tommy“, ein „Dokumentarstück“ des Dänen Thor Bjørn Krebs, in deutscher Erstaufführung. Aus den ersten Publikumsreihen springen die Darsteller nacheinander auf, treten in die Mitte, geben ihre Wortmeldung ab, um anschließend bis zum nächsten Auftritt wieder im Plenum zu verschwinden. Sind wir nicht alle ein bisschen Blauhelmsoldat? Auf dem Internet-Videoportal YouTube zeigt die Schaubühne Passantenbefragungen zum Thema, auch, was eigentlich die Aufgaben der Blauhelme seien. Die Antworten lauten etwa „die sind für den Frieden und graben Brunnen“ oder schlicht und ehrlich „keine Ahnung“.

Tommy gräbt keine Brunnen, zeigt „denen da unten“ auch nicht, „wo es langgeht“, sondern wird von Heckenschützen beschossen, muss wegen der strikten Neutralitätsorder tatenlos zusehen, wie Zivilisten zur Provokation direkt am Zaun des UN-Camps hingerichtet oder Massaker zielgerichtet unter solchen Zivilisten angerichtet werden, die von der Schutztruppe medizinisch versorgt worden sind. Irgendwann bekommt Tommy deswegen „ein ganz klein bisschen Probleme mit der Potenz“ und erwidert das Feuer.

Stefan Stern spielt Tommy in Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen als Jungen von nebenan, dem nur langsam aufgeht, dass die Unterschiede zwischen Fernsehen und Realität nicht zu vernachlässigen sind. Bettina Hoppe und Sebastian Schwarz, ebenfalls in allgemeingültigkeitstauglicher Zivilkleidung, schlüpfen in alle weiteren Rollen. Die Wechsel sind schnell und kaum nachvollziehbar, Gestik und Mimik unterscheiden sich kaum; ob nun gerade Vater, Mutter, Sanitäterin, Hauptmann, Kompaniechef oder Militärseelsorgerin sprechen, verwischt. Hoppe trägt das immer gleiche verbindliche Lächeln im Gesicht. Schwarz gibt den Pseudo-Macho mit breitbeinig-weitausgreifendem Gang in je nach Rolle bloß gradueller Abstufung. Letztendlich ist nicht relevant, wer gerade spricht, Tommy fühlt sich sowieso im falschen Film. Und der zieht viel zu schnell an ihm vorbei, als dass er die Kontrolle behalten könnte.

Kurz vor Antritt der Heimreise stirbt Tommys Freund Niels bei einem Angriff auf das Camp. Zu Hause schlägt Tommy wohlwollendes Unverständnis entgegen, sowohl für den Verlust als auch das Getötethaben. Tommy rastet aus und schlägt einen Vordrängler in der Pizzabude zusammen. So wird nichts aus der Offiziersschule, es bleibt nur die Rückkehr zur Schutztruppe als einfacher Soldat.

Das Thema des traumatisierten Kriegsheimkehrers, der sich im Zivilleben nicht mehr zurechtfindet und sich deshalb paradoxerweise in den Krieg zurücksehnt, wurde oft bearbeitet, angefangen von Erich Maria Remarques „Der Weg zurück“ bis hin zu diversen Vietnam-Veteranen-Verfilmungen. Dem vermag das Stück nichts hinzuzufügen. Neu ist die Frage nach dem Sinn von UN-Einsätzen: wenn die Theorie von der Friedenssicherung unter Wahrung der Neutralität in der Praxis zur Absurdität gerät; wenn erst nach drei Warnungen zurückgeschossen werden darf, wenn alle schon tot sind; und dass gewisse Gräueltaten erst durch die Anwesenheit der UN-Truppen provoziert zu werden scheinen. All das kratzen Text und Inszenierung nur an.SUSANNE LEDERLE

Wieder in der Schaubühne am 6./7. Oktober, 20 Uhr