: Düstere Jazz-Reise
JAZZ-GRENZGANG Jazz war für Nils Petter Molvær immer schon ein Spiel mit Freiheiten und Intensitäten. Mit seinem neuen Album „Baboon Moon“ betritt der norwegische Trompeter nun ungewohnt düsteres und raues Gebiet
VON ROBERT MATTHIES
„Nichts ist intensiv genug, es sei denn vielleicht, es ist Jazz“, hat Universal-Künstler Jean Cocteau einst seinem Staunen darüber Ausdruck verliehen, dass es Jazz nicht immer schon gegeben hat. Und nicht viel anders haben es immer schon auch dessen Protagonisten gesehen: Wenngleich er vielleicht nicht wirklich der Kosmos, also einfach alles ist (Sun Ra), so doch auf jeden Fall Freiheit (Archie Shepp), respektive die Freiheit, viele Formen zu haben (Duke Ellington), zumindest aber die einzige existierende Kunstform, in der es die Freiheit des Individuums gibt, ohne den Verlust des Zusammengehörigkeitsgefühls (Dave Brumbeck).
Intensität und Freiheit zur Formenvielfalt war immer schon auch das, was auch fernab von der übermächtigen US-amerikanischen Tradition als Jazz gelebt worden ist. In Norwegen zum Beispiel, wohin sich – anders als im benachbarten Schweden – nur selten mal eine Jazz-Größe von der anderen Seite des Atlantiks verirrt. Und man sich stattdessen eingehend miteinander beschäftigt. Entsprechend kurz sind hier die Wege zwischen dem, was man gemeinhin als Genres voneinander abgrenzt. Und entsprechend frei und intensiv klingen die Ergebnisse des musikalischen Austauschs.
Einer, der damit immer wieder auch die internationale Jazzwelt beeindruckt, ist der Trompeter Nils Petter Molvær. „Khmer“ hieß 1997 dessen Solo-Debüt, auf dem der Norweger mit fiebrig-hypnotischen Post-Miles-Davis-Trompetenimprovisationen über einen subtilen und minimalistischen Sample-Teppich nebst wuchtiger Trip-Hop- und Drum’n’Bass-Beats schlängelte, und sich mit ungewohnt ätherischem Klang seinen Platz in der internationalen Jazzlandschaft sicherte – und mit zahlreichen Remixes von Rockers Hi-Fi oder Mental Overdrive auch auf den Club-Tanzflächen. Unter anderem den Preis der Deutschen Schallplattenkritik heimste Molvær damit ein – und galt fortan als Speerspitze des Nu-Jazz.
Auf seine Rolle festlegen lassen will der heute 51-Jährige sich aber nicht. Schon mit „Hamada“ hat Molvær vor zwei Jahren eine andere Richtung eingeschlagen: Gemeinsam mit dem Gitarristen Eivind Aarset und dem Schlagzeuger Audun Kleive begibt er sich auf deutlich aggressiver und bedrohlicher klingendes Gebiet, statt Hip-Hop gibt es auf einmal Progrock und verzerrte Gitarren. „Baboon Moon“ geht diesen Weg nun noch einmal weiter – ohne den Blick noch einmal zurückzuwerfen. Zusammengearbeitet hat Molvær dafür mit dem Ausnahmegitarrist Stian Westerhus, der auch für Komposition und Produktion mitverantwortlich zeichnet, und Ex-Madrugada-Drummer Erland Dahlen. Herausgekommen ist eine aufwühlende und zugleich reduziert und aufgeräumt wirkende Reise voller dröhnender Gitarren, waberndem Hintergrundrauschen und sphärischer Düsternis. Und ganz sicher eine der intensivsten und freiesten Jazz-Platten dieses Jahres.
■ Do, 20. 10., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36