: Stammtischler mit Strahlkraft
NACHRUF Udo Lattek, der erfolgreichste deutsche Vereinstrainer, war ein rigoroser, rationaler Erfolgsmensch. Ein Macher und Beißer. Er stirbt dunkel umwölkt im Alter von 80 Jahren
In den ersten eiligen Nachrufen auf Udo Lattek, der jetzt in Köln starb, waren Zahlenkolonnen das Wichtigste. Der erfolgreichste deutsche Trainer aller Zeiten: Er holte 8 deutsche Meisterschaften (6 mit dem FC Bayern, 2 mit Gladbach), dazu Pokalsiege, und alle 3 Europapokale jeweils 1x. Latteks Bayern waren der 1. deutsche Sieger des Landesmeistertitels 1974 – vor allem, Ältere dürfen sich erinnern, dank Schwarzenbecks Glücksschuss in der Schlussminute.
Lattek gebührt die Ehre, den FC Bayern zum FC Fastimmersiegen gemacht zu haben. In seiner zweiten Ära in München (1983–1987) holten die Bayern 1986 ihren insgesamt 10. Meistertitel und wurden zum deutschen Rekordsieger. Lattek hat auch Platz 1 in der Hitliste der schönsten Niederlagen des FC Bayern inne; es war sein letztes Spiel auf der Bank der Münchner – Finale 1987 gegen Porto 1:2, für Mittelältere: Madjer… die Hacke …
Lattek war keiner, den man bewunderte (wie manche heute Pep Guardiola) oder als Heilsbringer vergötterte (wie in Köln einst Christoph Daum). Lattek war rigoroser, rationaler Erfolgsmensch. Macher. Beißer. Eine Autorität. Er baute keine Mannschaften auf, sondern machte gute noch besser. Der große Trainerkollege Max Merkel lästerte mal über ihn: „Jetzt haben’s beim FC Bayern, wo der Mozart und der Beethoven in einer Band stehen, endlich auch einen passenden Bediener, der nur die Noten umzublättern braucht.“
Lattek war immer kompromisslos: Als sich in seinen Jahren als Chefcoach beim FC Barcelona (1981–83) Seine Gottheit Diego Armando Maradona mal verspätete, ließ Lattek den Mannschaftsbus ohne ihn losfahren. Das kostete ihn den Job.
„Alles was ich erreicht habe, verdanke ich dem Fußball“, sagte Lattek mal. Das frühe Lehramtsstudium Sport, Mathe und Physik spielte beim vertriebenen Ostpreußen nie mehr eine Rolle. Ein Pädagoge war Lattek ohnehin nicht. Angeblich war er der Erfinder der Parole: „Rausgehen und Gras fressen.“
In seiner zweiten Karriere (1995–2011) trat Lattek stolze 786 mal bei DSF/Sport1 im sonntäglichen „Doppelpass“ als grantelnder Experte auf. Hier konnte man ahnen, wie er in der Kabine wohl war: giftig, derb, ruppig auch, spöttisch, rechthaberisch, sexistisch, von keinen Selbstzweifeln geplagt. Doppelpass? Spielte er mit sich selbst: Seine Sprüche, gern Missgunst und Neid anprangernd, waren Gesetz. „Weißhaarige linguistische Institution“, salbaderte mal die Welt. Schön war dieses Bonmot: „Im Kölner Stadion ist immer so eine super Stimmung, da stört eigentlich nur die Mannschaft.“
Beim 1. FC Köln war er zuletzt Manager (1987–1991). Lattek wusste, wie man die Medien bedient. Also zelebrierte er den Kult um seinen blauen Pullover. Nach einer langen Siegesserie zog er ihn einfach nicht mehr aus, bis er so roch wie Geißbock Hennes.
Latteks Credo: „Ich bin von mir so überzeugt, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, keinen Erfolg zu haben.“ Günter Eichberg, Schalkes Sonnenkönig, war anderer Meinung: Er entließ Lattek 1992 nach einem halben Jahr. Mit 65 Jahren, heuerte er noch mal als Retter an – für vier Spieltage bei den abstiegsgefährdeten Borussen in Dortmund. Erfolgreich. Dass die Nachricht von Latteks Tod kurz vor der 0:1-Pleite des BVB am Mittwochabend gegen Augsburg bekannt wurde, wird auf Schalke klammheimlich als böses Omen gefeiert.
In Erinnerung als Stammtischler bei Doppelpass ist auch das eine oder andere vormittägliche Glas Pils zu viel. Zuletzt lebte Lattek in einem Kölner Pflegeheim, gezeichnet vom Schlaganfall, von Parkinson und gefangen in den dunklen Wolken der Demenz. Udo Lattek, der „Mann mit Strahlkraft“ („Sportschau“), wurde 80 Jahre alt. BERND MÜLLENDER