: berliner szenen Latenightshopping (1)
Endlose Schlangen
Auf dem Plakat neben der Eingangstür stand: „Lust auf Late-Night-Shopping. Ab sofort sind wir von 8–24h für Sie da.“ Komisch, dass es in der Ankündigung weder ein Frage- noch ein Ausrufungszeichen gab. Während der Fußball-WM hatte der Kaiser’s-Markt schon einmal bis nachts geöffnet, was aber wegen Erfolglosigkeit mittendrin abgebrochen worden war. Als ich mich daran zu erinnern versuchte, wann der Wechsel vom 18.30- zum 20-Uhr-Ladenschluss stattgefunden hatte, fiel mir ein, dass die Kaiser’s-Filiale in der Clayallee zum Supermarkt des Jahres gewählt worden war.
A., die neulich in Amerika war, erzählte, dass die Leute dort, wenn sie nicht schlafen können oder traurig sind, nachts in den durchgängig geöffneten Supermärkten spazieren gehen. Oft in Pantoffeln, einen Mantel über dem Nachthemd. Ähnliches habe ich bei Kaiser’s bislang noch nicht beobachten können. Es war aber auch erst halb neun, als ich das erste Mal Late-Night-Shopping ausprobierte. Der Laden war proppevoll. Bei den Getränkesnacks ballten sich die Kunden. Die Schlangen vor den Kassen waren endlos. Die meisten kauften nur wenig und waren wie ich wohl nur gekommen, um kurz mal zu gucken. Vor dem Supermarkt begrüßten ungefähr doppelt soviele Trinker wie sonst die neuen Öffnungszeiten.
Die nächsten Male war’s zwischen neun und zehn. Heraus kam: Wenn es später wird, sind die Menschen meist jünger. Gekonnt verbergen manche ihre Trunkenheit. Ins Auge sticht die übergroße Freundlichkeit der Leiharbeiter. Sie tragen königsblaue T-Shirts mit der Aufschrift „easy work“. In einem Tagesspiegel-Artikel stand, dass sie laut Ver.di nur halb so viel verdienen wie ihre festangestellten Kollegen. DETLEF KUHLBRODT