: Zwei verfeindete Linksfraktionen
In Dresden leistet sich die Linke den Luxus zweier Stadtratsfraktionen. Schlichter Bodo Ramelow versucht tagelang zu vermitteln. Ein Rechtsgutachten hat gegen die doppelte Linke im Rat nichts einzuwenden. Heute Abend letzter Friedenstermin
AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH
So werden sie fortan immer sitzen, Seit’ an Seit’ in der ersten Reihe – und doch spinnefeind. Ralf Lunau, Vorsitzender der bisherigen „Linksfraktion.PDS“ und André Schollbach, Vorsitzender der siebenköpfigen Fraktion „Die Linke“. Die eine Linke hat sich von der anderen abgespalten, künftig will die Partei mit zwei Fraktionen im Dresdner Stadtparlament Politik machen. Schlägt heute Abend der letzte Vermittlungsversuch auf einer Sondersitzung des Stadt- und des Landesvorstandes fehl, dann sind die Dresdner Linken geschiedene Leute.
Vergangene Woche kam extra Bodo Ramelow aus Berlin angereist. Der Fraktionsvize im Bundestag und Fusionsbeauftragte versuchte tagelang zwischen den linken Streithähnen zu schlichten – vergeblich. „Der Bodo hat alles versucht“, sagte die Landesvorsitzende der sächsischen Linken, Cornelia Ernst, „er hat mehr an Kompromissvorschlägen unterbreitet, als ich zugestanden hätte!“ Doch die zehn verbliebenen Mitglieder der bisherigen Linksfraktion verweigerten dem Schiedsspruch Ramelows ihre Unterschrift.
Die Animositäten in der Dresdner PDS reichen viele Jahre zurück. Sie haben sowohl persönliche als auch inhaltliche Gründe. Schon in den Neunzigerjahren trat ein realpolitischer Flügel in Erscheinung. Zum offenen Bruch führte im März 2006 die Abstimmung über die Privatisierung der kommunalen Wohnungen, der die Fraktion in zwei Lager spaltete. Ein Teil stimmte auch später teilweise mit der CDU.
In städtischen Umfragen rutschte die Linke mit 10 Prozent fast auf ein Drittel der Popularität der Landespartei ab. Als die inzwischen parteilose Stadträtin Barbara Lässig im Juli öffentlich über eine eigene konkurrierende Liste zur Kommunalwahl 2009 fabulierte, gründete sich in Übereinstimmung mit dem Stadtverband eine neue siebenköpfige Fraktion „Die Linke“ aus. Oberbürgermeister Lutz Vogel (parteilos) hat sie am Freitag anerkannt.
Der Riss geht nicht nur durch den Stadtrat, sondern teilt auch nahezu hälftig den Stadtverband. Nur mit knapper Mehrheit wurde im September der bisherige Stadtvorstand mit dem Vorsitzenden Jürgen Muskulus bestätigt. Er steht den mehr auf die Parteilinie gerichteten Auffassungen Ramelows nahe. Ramelow hatte schon früher gegen eine „Privatisierung des parlamentarischen Mandats“ polemisiert und eine Ausübung von Mandaten im Kontext zur Parteilinie verlangt. Realpolitik sei „kein Freibrief, um nach Beliebigkeit jeden Tag irgendetwas zu entscheiden“, sagte er nun. Deshalb könne es auch „keine zwei Fraktionen auf der Basis der gleichen Partei geben“.
Dass sich eine Partei auch zwei Fraktionen leisten kann, haben die Dresdner inzwischen schriftlich. Peter Musall von der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung in Meißen hat die Doppelfraktion in einem Stadtparlament gutachterlich für einwandfrei erklärt. „Ein ‚Durchgriff‘ von Organen einer politischen Partei auf die Ratsmitglieder ist kommunalverfassungsrechtlich ausgeschlossen“, sagt das Gutachten. Die zehn bisherigen Mitglieder der Linksfraktion pochen auf die Freiheit ihres Mandates. In der ablehnenden Stellungnahme zum Ramelow-Schiedsspruch sehen sie sich in der Kontinuität der eigentlichen Linken in Dresden. Pikant bleibt, dass sich zwei von ihnen in der gleichen Landtagsfraktion mit der Landesvorsitzenden Ernst vertragen müssen, die als Dresdner Stadträtin zur Fraktion der sieben linientreuen Linken zählt. Aber auch dort sind die Differenzen zwischen den Flügeln längst spürbar.