: Welches Spiel spielt Draghi?
GRIECHENLAND Die Europäische Zentralbank droht mit dem Kollektivselbstmord der Eurozone – das ist nicht sehr glaubwürdig
VON ROBERT MISIK
Die Entscheidung der EZB, demnächst griechischen Banken keine Liquidität – also Zentralbankgeld – gegen Hinterlegung griechischer Staatsanleihen als Bürgschaft zu geben, hat viel Aufregung verursacht. Ein paar Fachleute tun zwar so, als verstünden sie etwas, aber glauben Sie ihnen besser kein Wort – alle sind gerade etwas verwirrt. Dennoch setzt sich ein gewisser Spin durch: Die EZB ziehe den Stecker. Jetzt sehe man, dass Tsipras und Varoufakis am kürzeren Hebel sitzen. Die Frage ist nur: Ist das wirklich wahr?
Zunächst einmal ist nicht sicher, dass Draghi und Varoufakis überhaupt an unterschiedlichen Hebeln sitzen: Draghi bekämpft verzweifelt die Deflation in Europa mit den bescheidenen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen – nämlich mit quantitative easing, also dem Pumpen von Zentralbankgeld in den Bankenkreislauf. Bloß kommt das Geld in der Realwirtschaft nicht an, solange weiter Austeritätspolitik betrieben wird, private Haushalte sparen und Unternehmen nicht investieren. Draghi selbst beißt sich am Spardiktat von Schäuble und Co die Zähne aus. Es wäre daher viel logischer, anzunehmen, dass Draghi insgeheim doch aufseiten der Griechen steht.
Aber bleiben wir bei den Fakten: Die EZB sagt, sie kann die Liquiditätsschleusen für die griechischen Banken nicht offen halten, wenn Griechenland unter keinem ausgehandelten Reformprogramm agiert – und das bisherige Programm hat Griechenland nun de facto gekündigt und will ein neues Übergangsprogramm mit den anderen Euroländern verhandeln. Was bedeutet dann aber die Entscheidung der EZB? Sie bedeutet, dass die EZB Griechenland und (!) die anderen Euroländer unter Druck setzt, eine neue Abmachung zu treffen. „Ich glaube“, schreibt denn auch Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman auf seinem Blog, „Draghis Signal richtet sich mehr an die Deutschen als an die Griechen.“
Was passiert aber, wenn sich Griechenland nicht beugt und auch mit den anderen Eurozonenpartnern kein Abkommen ausverhandelt werden kann, weil Schäuble und Merkel sich beispielsweise querlegen? Dann könnte es sein, dass im allerextremsten Fall die griechischen Banken nicht einmal mehr Notliquidität zugeführt bekommen.
Nur damit man das auch als Laie versteht: Es geht im Moment gar nicht darum, dass die EZB droht, Griechenland in den Staatsbankrott zu treiben. Womit die EZB droht, ist, die griechischen Banken in den Bankrott zu treiben (daraus könnte sich allenfalls als Folgewirkung auch ein Staatsbankrott ergeben). Und zwar Banken, die zwar möglicherweise ein Liquiditätsproblem haben, aber keineswegs insolvent sind. Sie droht, (relativ) gesunde Banken kaputtzumachen, indem sie sie von Liquidität abschneidet und einen Run auf sie provoziert. Mit anderen Worten: Die EZB droht, etwas zu tun, was auf beinahe kriminelle Weise verrückt wäre.
Die Annahme, dass die Folgen auf Griechenland beschränkt blieben, sprengte die EZB den Finanzplatz Athen in die Luft, ist lächerlich. Es wäre so eine Art Lehman-Moment der Eurozone. Kurzum: Die EZB droht, die griechischen Banken umzubringen und damit gleichzeitig Selbstmord zu begehen.
Die griechische Seite weiß natürlich – und die EZB weiß, dass das die griechische Seite weiß –, dass die EZB das nie tun wird. Es ist also kaum anzunehmen, dass die EZB glaubt, sie könne damit die griechische Regierung beeindrucken, und daher ist auch kaum anzunehmen, dass sie ihre Strategie auf eine so dumme Annahme gründet. Draghi ist kein Dummkopf. Er weiß, dass die Griechen dann sagen würden: Du willst die Eurozone in ein Trümmerfeld verwandeln? Na dann, hopp, mach mal, wenn du dich traust.
Es ist also sehr viel vernünftiger, anzunehmen, dass hier ein ganz anderes Spiel gespielt wird. Mal sehen, wer da am längeren Hebel sitzt.