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Archiv-Artikel

Eine besonnene Warnung

Fred Pearce schildert anschaulich, wie sich das Klima seit langem verändert hat. Viel Zeit zum Handeln bleibt nicht

Niemand kennt das Wetter von morgen, auch Fred Pearce nicht. Doch der angesehene britische Wissenschaftsjournalist glaubt, dass es weniger vorhersagbar wird, und häuft in seinem Buch „Das Wetter von morgen“ eine überwältigende Fülle von Erklärungen angesehener Wissenschaftler zum Klimawandel auf. Nach der Lektüre wechselt man die Glühbirnen gegen Energiesparlampen aus und überdenkt den nächsten Fernflug.

In atemberaubend kurzer Zeit gelangte das Wissen vom globalen Klimawandel aus den Kreisen der Experten in die Öffentlichkeit und wurde zur breit akzeptierten Gewissheit. Die Warnungen des Weltklimarates finden inzwischen selbst in der US-Regierung Gehör, nicht aber bei einer kleinen Gruppe von deutschen Klimaskeptikern wie Cicero-Herausgeber Wolfram Weimer oder den Biologen Josef H. Reichholf. Klimatologisches Geheimwissen können sie nicht vorweisen. Daher betreiben sie Medienkritik: Sie warnen vor „Untergangsterror“ und einer „gleichgeschalteten“ öffentlichen Meinung. Sicher, es werde wärmer, das sei ja messbar. Aber warum und in welchem Ausmaß und ob dafür nur der Mensch verantwortlich sei, das möchten diese „normalen Bürger“ doch dahingestellt sein lassen.

Mit britischer Zurückhaltung würde Fred Pearce den Skeptikern sofort konzedieren, dass der Mensch nicht allein für den Klimawandel verantwortlich ist. Nur ist die Frage der Verantwortung vielleicht nicht entscheidend, wenn der Klimawandel Menschen verdursten, verhungern, erkranken oder emigrieren lässt. Pearce zeigt sehr überzeugend: Sollte der Mensch nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen Faktoren für den Temperaturanstieg seit 1970 um durchschnittlich 0,6 Grad Celsius verantwortlich sein, dann sind auch seine Gegenmaßnahmen und deren Reichweite bedauerlicherweise stark begrenzt.

Fred Pearce beginnt mit dem Bekannten: der zunehmenden Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, dem Temperaturanstieg, der Gletscherschmelze in der Arktis und dem Wegbrechen des Schelfeises in der Antarktis, das die auf dem Landsockel nur aufliegenden Gletscher schneller ins Wasser gleiten lässt. Er beschreibt die auftauenden und das Superatmosphärengift Methan freisetzenden Permafrostböden in Sibirien und Alaska, die Brände im Amazonas-Urwald, die durch Kohlendioxidaufnahme sauer werdenden Weltmeere.

Dann weitet Pearce den Blick. Er blickt zurück in die Geschichte unseres Planeten und stellt fest, dass unsere stabile Klimalage die Ausnahme war: Die letzte Kaltzeit von 1300 bis 1850 hatte ihren Höhepunkt um 1790, zur Zeit der Französischen Revolution. Außerdem gibt es einige weniger offensichtliche Faktoren, die die Erderwärmung beeinflussen können: etwa die Wolkenbildung, die Sonnenaktivität, die Veränderung der Erdneigung. Leider ist es in der Klimaforschung offenbar wie im Leben: Eindeutigkeit ist die Ausnahme.

Am einfachsten verhält es sich noch mit den Aerosolen: Rauch, Ruß, Staub, Schwefel strahlen die Sonnenwärme in den Weltraum zurück, doch verstärkte Anstrengungen zur Luftreinhaltung mindern diesen wünschenswerten Effekt. Komplexer sind schon Entstehung oder Ausbleiben von El Niños. Oder das „marine Förderband“, das das warme Wasser zu den Polen transportiert, wo es abkühlt und dann zurückfließt. Der Golfstrom vor den Küsten Europas gehört zu dieser Strömung, dessen Stillstand manche Forscher befürchten. Kapitel für Kapitel erstellt Pearce eine „Liste von Sorgenfällen“.

So unübersichtlich sich diese Liste auch in der Aufzählung liest, der Leser verliert nicht den Überblick. „Das Wetter von morgen“ schlägt auf hohem Niveau Schneisen durch ein Gestrüpp von Zahlen, Theorien und Hypothesen, ohne Wissenschaftssprache und mit jener Anschaulichkeit, die noch immer ein britisches Privileg zu sein scheint. Pearce verbindet sie durch eine schlichte Grundannahme: dass die Faktoren miteinander und aufeinander reagieren und positive, also verstärkende Rückkopplungen auslösen könnten. Die Gefahr chaotischer, also nichtlinearer, vorhersehbarer Reaktionen steige, meint Pearce. Dabei wirkt er wie ein besonnener Warner: Wenn einmal von erwachenden Klima-„Monstern“ die Rede ist, wird ein Experte zitiert. Wir haben, schlussfolgert Pearce allerdings, vielleicht schon den Schalter zu neuen Klimaverhältnissen umgelegt, indem wir den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre in den letzten 200 Jahren von 600 Milliarden Tonnen auf 800 Milliarden Tonnen gesteigert haben.

So steht am Ende eines ernsten Buches voll divergierender und sich nicht selten heftig befehdender wissenschaftlicher Erklärungsversuche gelinde Ratlosigkeit angesichts der Frage, wie das Wetter von morgen aussehen wird. Nur dass es so bleibt, wie es war, kann man nach der Lektüre nicht mehr glauben. Und das ist das stärkste Argument dafür, endlich strikte Maßnahmen gegen die Zunahme von Methan und Kohlendioxid in der Atmosphäre zu ergreifen. JÖRG PLATH

Fred Pearce: „Das Wetter von morgen. Wenn das Klima zur Bedrohung wird“. Aus dem Englischen von Barbara Steckhan, Gabriele Gockel, Kollektiv Druck-Reif. Kunstmann Verlag, München 2007, 322 Seiten, 19,90 €