: Provinzposse
Wer im Landkreis Heilbronn gegen Stuttgart 21 protestieren möchte, hat es nicht so leicht. Das hat zumindest ein Mann aus Schwaigern erlebt, dem Messeveranstalter übel mitspielten. Notizen aus der Bahnhofsprovinz
von Gunter Haug
Bernd Mayer (49) aus Schwaigern im Landkreis Heilbronn ist ein aufrechter Demokrat. Als in seiner Heimatstadt kürzlich die Leintalmesse veranstaltet wurde, eine lokale Leistungsschau mit rund 70 Ausstellern und einigen tausend Besuchern, wurde der S-21-Gegner Mayer aktiv. Er wollte über die Stuttgarter Bahnhofsproblematik den Mitbürgern einige wichtige Informationen an die Hand geben vor der Volksabstimmung am 27. November. Unaufdringlich und nebenbei – auf dem Weg zur Leintalmesse.
Mayer funktionierte mithilfe einer weißen Plane, dem bekannten grellgrünen K-21-Plakat und dem bekannten, mit einem roten Schrägbalken versehenen Stuttgart-21-Schild seinen alten Pkw-Anhänger um: zum Infomobil in Sachen K 21. Kernbotschaft des Vehikels war die in großen Lettern angebrachte Information, dass sich die Kosten für das umstrittene Bahnhofsprojekt inzwischen mit Riesenschritten der Obergrenze von 4,52 Milliarden Euro näherten. Dem Limit, das laut Kostenvereinbarung zwischen Bahn, Bund, Land und Stadt nicht überschritten werden darf. Sonst Ausstieg, heißt es.
Seinen Anhänger platzierte Mayer auf einem freien öffentlichen Parkplatz in der Nähe des Messegeländes – und konnte sich damit sicher sein, dass viele sonntägliche Besucher en passant die Hauptargumente der Gegner von Stuttgart 21 registrieren würden. Eine gute Idee, ganz im Sinne der Steigerung der Wahlbeteiligung für das Quorum vom 27. November, dachte sich Mayer und machte sich am Sonntagnachmittag neuerlich und voller Freude auf den Weg zur Messe.
Doch der Anhänger war plötzlich weg. Und das, obwohl er abgeschlossen und gesichert worden war. Es konnte also gar nicht sein, dass ihn jemand einfach weggefahren hatte. Doch wo war er? Nach einiger Zeit des Suchens fand ihn sein Besitzer schließlich wieder: auf einem anderen Abstellplatz, hinter einer Hecke. Dort, wo ihn kein Messebesucher sehen konnte.
Es bedurfte keiner detektivischen Spürnase, um zu ahnen, was passiert war. Eine Erkundigung beim örtlichen Messeleiter genügte, und schon war klar, dass die Messeleitung die Hände im Spiel hatte. Der Anhänger habe gestört – es handle sich um eine nicht statthafte Meinungsäußerung im Umfeld der Messe. Man wolle aber nicht, dass diese Veranstaltung „instrumentalisiert und missbraucht“ werde. Deshalb habe man die Angelegenheit buchstäblich in die eigenen Hände genommen und den Stein des Anstoßes an eine weniger auffällige Stelle bugsiert.
Bernd Mayer war außer sich. Verwies auf sein demokratisches Recht der freien Meinungsäußerung und verlangte eine Entschuldigung. Als die nicht zu bekommen war („Wofür denn?“), griff er zum Telefon und schaltete die Polizei ein: „Wegen des Vergreifens an fremdem Eigentum.“ Schließlich darf ein Anhänger bekanntlich 14 Tage lang auf jedem öffentlichen Parkplatz abgestellt werden. Das sahen die Beamten genauso und nahmen die Anzeige auf. Die Dinge nahmen also ihren weiteren, nunmehr juristischen Lauf. Sollte man meinen.
Die Polizei nimmt die Anzeige auf und weist sie dann ab
Ein paar Tage später kam die Ernüchterung. Als sich Mayer auf der Wache nämlich nach dem Stand der Dinge erkundigte, erhielt er die Auskunft, man tue sich schwer mit der Formulierung der Anzeige. Aus polizeirechtlicher Sicht habe sich nämlich kein Tatbestand ergeben. Im Nachhinein betrachtet, könne man „keine Aneignungsabsicht“ der Messemacher erkennen, und es sei ja auch nichts passiert, bis auf die Tatsache, dass der Hänger nun halt um 20 Meter Luftlinie versetzt aufgefunden worden sei. Ja, aber wenn das jeder macht, argumentierte Mayer. Wenn beispielsweise anstelle eines Anhängers nun ein Fahrrad von A nach B bewegt worden wäre, nur weil es jemandem in den Sinn kam, das Laufen sei ihm zu mühselig. Was dann?
Erneutes Schulterzucken – und ebenfalls „kein polizeilicher Tatbestand“. Solange das Fahrrad heil geblieben sei, habe „der Nutzungsgedanke des Besitzers keine Beeinträchtigung“ erfahren – egal wie lange er nach Anhänger oder Fahrrad auch habe suchen müssen. Der zunehmend sprachlose Mayer erinnerte die Beamten an so manchen im Zuge der Stuttgarter K-21-Demonstrationen verhängten Bußgeldbescheid, wo Leute bekanntermaßen schon kräftig zur Kasse gebeten worden seien, wenn sie einen einzigen K-21-Aufkleber an einem Laternenmast angebracht hätten. Aufkleber, die man ganz gut wieder abziehen könne, ohne jedwede Beeinträchtigung des zweckentfremdeten Gegenstands. Das sei etwas ganz anderes, wurde er nun eher knapp beschieden, die Sache selbst sei damit wohl erledigt. Die Anzeige, zu der es nun wegen fehlender „polizeirechtlicher Verwertbarkeit“ nicht kommen konnte, war also im Sande verlaufen, bevor sie überhaupt in die Gänge gekommen war.
Fazit: Zwischen Schwaigern und Stuttgart, so mutmaßt der engagierte Demokrat Mayer, liegen wohl Welten. Und je nach Lust und Laune der Ermittlungsbehörde auch Verwarnungen, Bußgeldbescheide oder doch lieber Verfahrenseinstellungen. Mayer will trotzdem nicht klein beigeben. Vielleicht finde sich ja doch ein engagierter Jurist, der ihn unterstütze. Das wäre gut für die Demokratie, findet er – und freut sich, dass sein Anhänger inzwischen richtig populär geworden ist: „Alle wollen ihn plötzlich haben.“ Das heißt, natürlich nur die Gegner des Projekts Stuttgart 21. Immerhin auch eine Möglichkeit, das Bahnhofsthema unters Abstimmungsvolk zu bringen. Von dieser Warte aus betrachtet, haben sich die um das Ansehen ihrer Lokalmesse besorgten Anhängerversetzer eher einen Bärendienst erwiesen: Denn zumindest in dieser Ecke des Landkreises Heilbronn ist Stuttgart 21 plötzlich doch wieder Thema geworden – sogar ein viel diskutiertes.