: Das Glück im Muskelgedächtnis
POP Zwei neue Alben der beiden jungen britischen Elektronikproduzenten Scuba und Rustie bilden die Euphorie der Clubnacht überzeugend ab
VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE
Ein wenig irritierend wirkt es ja schon, was sich in den vergangenen Monaten als Debatte über Vergangenheit und Zukunft von Pop zwischen Retro und Nischen abgespielt hat. Wann immer die „Fixierung von Pop auf seine eigene Vergangenheit“ (Simon Reynolds) erklärt werden soll, endet die Untersuchung bei Bildern, Tonträgern und Vertriebskanälen – kurz: Pop und seinen Medien. Vergessen werden dabei gerne Produzenten und Fans, deren Körper zwischen Konzertbühne, Stereoanlage und DJ-Booth auf der einen und Tanzfläche und Konzertsaal auf der anderen Seite ihre eigene Geschichte aus Affekten schreiben.
Sichtbar wird das, wenn Alben Clubs emulieren. Auf Mix-CDs wie der, die Scuba für die Reihe „DJ-Kicks“ angefertigt hat. Vor fünf Jahren hat Scuba in London als Dubstep-DJ begonnen, ist dann aber, von Minimal-Techno affiziert, nach Berlin gezogen, wo er im Berghain einen eigenen Stil aus Minimal, House und Bassmusik verfeinerte.
Wobei man weiter ausholen muss. Die verschiedenen Spielarten britischer Bassmusik von Jungle über UK-Garage bis Dubstep sind trotz der raumgreifenden Gesten der affektive Gegenpol zu einem Alltag, der den Zugang zu Räumen immer stärker reglementiert. Charakteristisch für diesen Gegenpol ist der „Drop“, dieser kurze Moment, in dem eine Instrumentalspur für sich allein steht und verstummt, bevor Bass und Synthesizer wieder einsetzen und die Spirale der Euphorie solange höher schrauben, bis auf die Party die Heimfahrt im Nachtbus folgt.
Diese Abfolge aus Euphorieschüben ist auf Scubas DJ-Mix einer homogenen Deepness gewichen. Der Retro-Elektro von Boddika steht neben dem plakativeren UK Funky von Roska, aber beide fügen sich dem Mix. Das alles kulminiert in Scubas eigenem Track „Adrenaline“, auf dem sich ein gefiltertes Sprachsample aus der Musik schält und zärtlich so etwas wie einen „Drop“ andeutet – die Versöhnung eines Körpers, dem die Affekte britischer Bassmusik ins Muskelgedächtnis eingeschrieben sind, mit der Weite einer Nacht in den Clubs, die an der Berliner U-Bahnlinie 1 zwischen Friedrichshain und Kreuzberg liegen.
Der Körper von Rustie lässt sich dagegen nur erahnen. Etwas verloren stand er vergangenes Jahr auf seiner eigenen Releaseparty mit Baggypants, Baseballkappe und einem übergroßen T-Shirt zwischen den Hipstern East Londons und ihrer eng anliegenden Ausgehuniform aus Vintage-Kleidung. Aber genau wie sein Körper steht auch Rusties Musik quer zu einer Gegenwartsdeutung, die in der Digitalisierung nichts anderes als das endlose Recyceln einer analogen Vergangenheit entdecken kann.
Klar, Rustie ist ein B-Boy, wenn auch ein glaubwürdig unauthentischer. Die Tracks des Schotten simulieren nicht die aus dem Handgelenk geschüttelte Eleganz des klassischen HipHop-DJs: eine Hand am Crossfader, die andere am Plattenspieler, den Blick verkifft-konzentriert ins Leere gerichtet. Stattdessen entspringt Rusties Version von HipHop der verkrampften und gleichzeitig hyperaktiven Haltung des Bildschirmarbeiters, in der Konzentration und Euphorie nur einen Mausklick voneinander entfernt sind.
Selbstverständlich kennt auch Rustie, wie alle HipHop-Produzenten vor ihm, die Bedeutung des Archivs. Er hat es um die Jahrtausendwende angelegt, als HipHop und R&B die Charts und Fantasien einer ganzen Generation dominierten. Seitdem ist es gewachsen: In Rusties Basslines entdeckt man ein wenig P-Funk, die Synthesizer erinnern an Chiptunes, in der Rhythmussektion konkurrieren Timbaland und die Neptunes um die Vorherrschaft über die Drumspuren. All das hat er mit der Szene seiner Heimatstadt Glasgow um die Labels Numbers und Lucky Me gemeinsam.
Rusties Aktualisierung von HipHop ist keine Rückkehr in alte Zeiten, um mit Kennerhand die weitere Verfeinerung längst ausdifferenzierter Stile für die eigene Nische fortzusetzen. Sondern er collagiert seine Quellen so lange, bis ein Schauer des Genießens den nächsten ablöst. In „Ultra Phizz“ schält sich aus den gesampelten Gitarrensoli eine funkige Version von Prog-Rock heraus. „All Nite“ ist ein Upgrade von Neunziger-Jahre-R&B für Jugendzimmer, in denen Doppelkernprozessoren zur Grundausstattung gehören.
Rustie aktualisiert die Vergangenheit von Dancefloor-Musik als Wiederholung und Steigerung von Affekten – das Glücksgefühl des versunkenen Gamers, das Verlangen nach der süßen Hookline. Eigentlich tut er damit nur das, was gute Popmusik schon immer getan hat: Auf der Höhe der Technik nach dem Maximum an Glück suchen und es unauslöschlich ins Muskelgedächtnis einzuschreiben.
■ Scuba: „DJ-Kicks“ (!K 7 Records/ Alive); Rustie: „Glass Swords“ (Warp/Rough Trade)