Versprochen – gehalten – gegangen

GRÖSSE Putin bleibt. Janukowitsch bleibt. Otunbajewa geht. Nach nur eineinhalb Jahren tritt Kirgistans Präsidentin ab, obwohl sie schaffte, was Männern nie gelungen wäre

 Der Termin: Mehr als ein Dutzend Kandidaten bewerben sich am 30. Oktober bei den fünfeinhalb Millionen Einwohnern Kirgistans um das Präsidentenamt.

 Der Favorit: In den sehr unpräzisen Meinungsumfragen liegt Almasbek Atambajew vorn. Der Sozialdemokrat hat zusammen mit Rosa Otunbajewa im April 2010 den Präsidenten Kurmanbek Bakijew gestürzt und kommt aus dem Norden des Landes.

 Die Konkurrenten: Seine zwei schärfsten Konkurrenten Kamtschibek Taschijew und Atachan Madumarow stammen wie Bakijew aus dem Süden und waren Parteigänger des gestürzten Präsidenten. Taschijew hat sich nach den Pogromen gegen usbekische Viertel im Juni 2010 stolz als kirgisischen Nationalisten bezeichnet.

VON MARCUS BENSMANN

Die Kirgisen sind ein Nomadenvolk, das gern Pferderennen veranstaltet. Sie spielen mit Ziegenrümpfen Polo. Und beim „Kys Kumai“ jagt ein Reiter eine Reiterin. Wenn er sie fängt, darf er sie küssen. Entkommt ihm die Frau, weil sie schneller ist, versohlt sie den Mann am Ende mit der Peitsche.

Am 30. Oktober wird in dem zentralasiatischen Land am Tienschan-Gebirge ein Präsident gewählt. Bei Wahlen in der ehemaligen Sowjetunion – vor allem in den fünf zentralasiatischen Staaten – stehen die Ergebnisse oft vorher fest. Staatschefs krallen sich an die Macht und sichern ihre Pfründen. In der Ukraine lässt Präsident Wiktor Janukowitsch eine Konkurrentin von einem Richter einsperren. In Russland hat sich der ehemalige Präsident und derzeitige Premierminister Wladimir Putin gerade wieder zum nächsten Präsidenten ernannt.

In Kirgistan passiert nun etwas anderes.

Mit Rosa Otunbajewa steht eine Frau an der Spitze des Staates, der an der chinesischen Grenze liegt, und mehr als ein Dutzend Männer wollen ihren Posten. Doch die 61 Jahre alte Amtsinhaberin steigt freiwillig aus dem Sattel. Kein Kuss, keine Peitsche. Sie hatte das versprochen.

Bisher weiß keiner, wie die Präsidentschaftswahl am Sonntag ausgehen wird. Ein kleiner Sieg für die Demokratie in Kirgistan. So etwas gab es noch nie. Es ist Otunbajewas Verdienst.

Als die Opposition im April 2010 den damaligen Präsidenten Kurmanbek Bakijew wegen Korruption und Vetternwirtschaft erst stürzte und dann ins weißrussische Exil zwang, übernahm die kleine Frau mit dem Bubihaarschnitt und der Brille.

Rosa Otunbajewa ist ein kirgisischer Politprofi. In der Sowjetunion war sie Funktionärin, nach der Unabhängigkeit Abgeordnete, mehrmals Außenministerin und Botschafterin. Ihr Ziel war immer die Demokratie.

Nur diese Frau konnte das

Als Bakijew im vergangenen Jahr fiel, war Otunbajewa gewarnt. Schon 2005 hat sie einem Oppositionsbündnis angehört, das einen Präsidenten aus dem Amt warf – damals Askar Akajew. Die Herrschenden in Kirgistan sind zwar korrupt, aber das Volk nimmt das nicht hin, sondern organisiert Demonstrationen, Plünderungen und – wenn es gelingt – Revolutionen.

2005 also war Otunbajewas politischer Gefährte Bakijew an die Macht gekommen. Sie wurde seine Außenministerin. Doch er brach das Demokratieversprechen. Bakijew regierte schlimmer als sein gestürzter Vorgänger. Er ließ keine freien Wahlen zu, unterdrückte die Zivilgesellschaft. Otunbajewa ging wieder in die Opposition.

Nach dem erneuten Umsturz 2010 sah es anfangs nicht besser aus. Die männlichen Oppositionsführer einte nur die Gegnerschaft zum gestürzten Bakijew. Sie belauerten sich, jeder hielt sich für den besseren Staatschef. Die kirgisische Politik erinnert in dieser Hinsicht an „Asterix bei den Goten“: Ein Häuptling erklärt sich zum Chef, die anderen Häuptlinge lachen ihn aus.

Kirgistan drohte ein Bruderkrieg.

Es war die Stunde der Rosa Otunbajewa. Sie versprach eineinhalb Jahre zu regieren und Kirgistan demokratischer zu machen, mit freien Wahlen. Die präsidiale Macht sollte beschnitten, der Missbrauch verhindert werden. Danach werde sie sich aus der Politik zurückziehen.

Jeder ihrer männlichen Mitstreiter hätte das auch versprochen, aber nur dieser Frau war zuzutrauen, ihr Wort zu halten. Otunbajewa wurde zur kirgisischen Suppernanny, die die zankenden Kerle beruhigen soll, um dann wieder zu gehen.

In Kirgistan spielen Frauen traditionell eine zentrale Rolle. Auf der einen Seite gebärden sich die Kirgisen oft als wüste Männer. Noch heute gibt es die brutale Praxis des Frauenraubs, bei der eine Frau durch Raub und Vergewaltigung zur Ehe gezwungen wird. Auch das „Kys Kumai“-Rennen verweist auf diesen Brauch.

Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl sind alle Männer. Und im Parlament sitzt nur eine Frau, die Tochter des bekannten Poeten Tschingis Aitmatow, sie heißt Schirin.

Dann kam der Schatten

Kirgistan erinnert an „Asterix bei den Goten“: Ein Häuptling nennt sich Chef, die anderen lachen

Aber in der Nomadenkultur der Kirgisen hatte die Frau immer einen wichtigen Platz. Sie trug Waffen und nie Schleier, sie ritt und kämpfte. Die Sowjetunion öffnete den Frauen den Weg zur Bildung und in die Berufe. Heute stehen Aktivistinnen bei Demonstrationen in der allerersten Reihe.

Otunbajewa hielt Wort. Die Verfassung wurde reformiert, und die Wahlen sind frei. Aber ein dunkler Schatten liegt auf ihrer kurzen Regentschaft.

Im Juni 2010 zogen tagelang Tausende Kirgisen durch die usbekischen Wohnviertel im Süden des Landes. Sie plünderten und mordeten. Eine internationale Untersuchungskommission brandmarkte die systematischen Plünderungen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und gab der Regierung von Otunbajewa die Hauptschuld. Denn sie hatte die Bürger nicht schützen können.

Im Juni 2010 fuhr sie nach den Ausschreitungen in die zerstörte Stadt. Sie wurde von Kirgisen bedrängt, die auf sie einschrien, mit den Fäusten in der Luft. In einer viel zu großen Schutzweste stand sie dazwischen, umringt von Bodyguards. Man konnte ihre Ohnmacht sehen. Das war nicht ihre Demokratie.

Es ist seitdem, als nage ein Zweifel an ihr, ob das Land und seine Kerle wirklich fit für die Demokratie sind.

Nach den Wahlen könnten die Männer nun einfach dem Beispiel der Korsen bei Asterix folgen. Sie wählen, werfen die Urnen in den See und kämpfen dann, wer gewonnen hat.

Vielleicht hätte Rosa dieses Rennen doch noch einmal wagen sollen.