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Archiv-Artikel

Vom Komischen im Kosmischen

„La face cachée de la lune“ oder „Die andere Seite des Mondes“ von Robert Lepage läuft den Oktober über im Kino 46

In einem Waschsalon schaut ein Mann verloren in das Bullauge einer Waschmaschine. Eine Kamerafahrt beginnt und das runde Fenster gehört plötzlich zu der Einstiegsluke einer ausdockenden Raumkapsel, so dass der Melancholiker langsam in der Tiefe des Weltalls verschwindet. Diese kleine Sequenz am Anfang des frankokanadischen Spielfilms „La face cachée de la lune“ bringt dessen Thema, Stil und Stimmung so genau auf den Punkt, dass der Filmemacher Robert Lepage sich die restlichen rund hundert Minuten des Film fast hätte sparen können. Er erzählt von einem Grübler und der Raumfahrt, verbindet eine Familiengeschichte mit einem wissenschaftsphilosophischen Essay, ist mal poetisch und dann wieder albern.

Sein Antiheld ist der verkrachte Akademiker Philippe, der sich in seiner Dissertation zu der These verstiegen hat, die Menschheit würde aus reinem Narzissmus ins All blicken und reisen. Mit solchen abenteuerlichen Theorien kann man auch in Québec keine Doktorentitel gewinnen, aber Philippes wahres Talent liegt ja auch im Scheitern. Seine hängenden Schultern und der resignierte Blick lassen Schlimmes erwarten, und so ist der Film auch eine Abfolge von tragikomischen Katastrophen, die er fast zu ersehnen scheint. Er ist es, der aus verletzter Eigenliebe all seine Hoffnungen in die Raumfahrt projiziert hat. Er kennt alle russischen Kosmonauten und die Namen der Krater auf der erdabgewandten Seite des Mondes, die nach sowjetischen Poeten und Wissenschaftlern benannt wurden. Und natürlich ist das letztlich gescheiterte russische Raumfahrtprogramm sein Thema, und nicht die Leistungen der Amerikaner. Denn die sind ja wie sein Bruder André: selbstbewusst, erfolgreich und pragmatisch. Im Kern wird hier die Geschichte der beiden Geschwister erzählt, die so verschieden und einander fremd sind wie die beiden Seiten des Mondes. Beide werden von Robert Lepage selbst verkörpert: der eine mit fettig langen Haaren, der andere mit schicker Frisur, modischem Bärtchen und einem forschen Blick nach vorn. Während Philippe aus jedem Job herausfliegt, hat André als Wetterfrosch beim Fernsehen Karriere gemacht und lebt in einer harmonischen schwulen Beziehung. Als Kind hat Philippe seinen jüngeren Bruder mal in eine Waschmaschine gestopft und durchschleudern lassen – ja, dies ist das Spiegelbild der am Anfang geschilderten Sequenz und filmisch ähnlich originell ausgeführt.

An solchen Doppelungen und überraschenden Übergängen vom Kosmischen ins Komische hat der Filmemacher offensichtliches Vergnügen. Robert Lepage ist ja eher als Theatermacher bekannt, und „La face cachée“ ist ursprünglich ein zweieinhalbstündiges Soloprogramm, mit dem er auch schon im Berliner Schillertheater gastierte. Seine bisherigen Filme wie „The Confessional“ oder „The Polygraph“ waren zwar ähnlich komplex und erfindungsreich inszeniert, aber sie wirkten auch so, als würde Lepage dermaßen narzisstisch mit dem für ihn neuen Werkzeugkasten Film spielen, dass man sich als Zuschauer immer ein wenig ausgeschlossen fühlte.

Hier führt er zwar immer noch stolz seine Tricks vor, wenn er etwa Philippe bei einem LSD-Trip in einen Riesen verwandelt, der sich zu dem Puppenhaus hinunterbeugt, in dem seine Familie wohnt, oder wenn er ihn am Schluss schwerelos durch ein Poster mit den Helden der sowjetischen Raumfahrt schweben lässt. Aber jetzt denkt er auch an sein Publikum und so wirkt sein künstlerischer Übermut ansteckend. Wilfried Hippen