„Sie hat alles richtig gemacht“

Ein Stalker hat in Hamburg-Stellingen eine Frau niedergestochen, obwohl diese gegen ihn eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte. Einen Tag vor der Tat hatte er ihr wieder aufgelauert und war von der Polizei verwarnt worden

SIGURD SEDELIES, 46, ist Diplom-Psychologe und psychologischer Psychotherapeut und arbeitet bei der Opferhilfe Hamburg.

taz: Herr Sedelies, was würden Sie jemand empfehlen, der merkt, dass er gestalkt wird?

Sigurd Sedelies: Er sollte Kontakt zu einer Beratungsstelle aufnehmen. Was man dann macht, kommt darauf an, ob man die Person kennt oder nicht kennt, und in welcher Beziehung man zueinander steht.

In dem Fall war der Täter früher Patient bei der Frau, die er niedergestochen hat. Kann es sein, dass er sich verliebt hat?

Mit „verliebt“ wäre ich vorsichtig. Verliebt sein gestattet nicht, über die Grenzen eines anderen Menschen zu gehen. Verlieben kann man sich gerne in jemanden, aber da muss man auch überprüfen, ob der oder die andere auch ein solches Gefühl hat. Und wenn man feststellt, dass das nicht so ist, muss man irgendwann in den Trauerprozess gehen und sich davon verabschieden, dass die begehrte Person verfügbar ist.

Und was hätte die Frau machen können? Anzeige hatte sie ja schon erstattet, es gab eine einstweilige Verfügung, aber das hat nicht genützt.

Ich hab den Fall bisher nur im Radio gehört, aber das ist das Gemeine, dass die Frau anscheinend alles richtig gemacht hat. Sie hat deutlich gemacht, dass sie eine Beziehung nicht möchte.

Trotzdem hat er ihr weiter aufgelauert.

Ja, aber er hat damit irgendwann aufgehört. Die einstweilige Verfügung hatte ja so weit gewirkt, dass er dann ein oder eineinhalb Jahre keinen Kontakt mehr aufgenommen hatte. Einen Tag, bevor er sie niedergestochen hat, ist er dann wieder aufgetaucht.

Und was kann man da machen?

Die juristische Frage wäre, in wieweit es möglich ist, dass Menschen auf ihren psychischen Gesundheitszustand überprüft werden. Die Frage ist, gab es Vorzeichen, dass eine solche Tat folgen würde? Aber ob so eine Vorhersage möglich ist oder war, ist offen. Absolute Sicherheit gibt es nicht.

Könnte man so jemand nicht vorübergehend in Haft nehmen?

Glücklicherweise kommt es bei der Menge von Menschen, die andere verfolgen, relativ selten zum Mord oder zur schweren Körperverletzung. Wenn man die alle gleich in Haft nehmen würde, würde viel Sicherheit entstehen, aber auch viel Unrecht. Als Therapeut kann ich nur sagen, dass sie alles richtig gemacht hat.

INTERVIEW: DANIEL WIESE