Das militärische Erbe entschärfen

WAFFEN Verschwundene libysche Waffen bereiten Diplomaten Kopfzerbrechen. Sorge in Afrika

NEW YORK/PARIS afp/rtr | Nach dem Tod von Libyens früherem Machthaber Muammar al-Gaddafi sorgt sich die Welt nicht nur um die politische Zukunft des Landes. Auch die inzwischen geplünderten großen Waffenarsenale des Despoten bereiten Kopfzerbrechen. In Nordafrika herrsche „große Besorgnis“, dass Waffen aus Libyen in die Nachbarländer geschafft worden seien, sagt der UN-Libyen-Sonderbeauftragte Ian Martin.

Vor allem rund 20.000 schultergestützte Boden-Luft-Raketen machen Martin Sorgen, weil mit ihnen Flugzeuge beim Start oder Landeanflug abgeschossen werden können. Die Geschosse der Typen SA-7 und SA-24 wiegen 14 Kilogramm, sind 1,40 Meter lang und haben in erfahrenen Händen eine Reichweite von bis zu 4.000 Metern. Die Nato schätzt, dass die Hälfte der libyschen Bestände bereits auf dem Schwarzmarkt gelandet ist. Experten relativieren die Gefahr: Ohne Sprengköpfe und Batterien seien die Raketen nicht zu gebrauchen.

Auf einem Treffen von Militärchefs und Diplomaten aus Algerien, Mauretanien, Marokko, Tunesien, Frankreich, Italien, Malta, Portugal und Spanien wurde kürzlich die Frage diskutiert, wie das Terrornetzwerk Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI), das in Algerien, Mali, Mauretanien und Niger aktiv ist, an die Waffen gelangen könnte. In dieser Wüstenregion von acht Millionen Quadratkilometern ist Waffenschmuggel nicht zu überwachen. Aus afrikanischen Diplomatenkreisen heißt es, radikale Islamisten seien bereits dabei, „Terrorgruppen im Jemen, in Äthiopien und anderen Ländern der Region“ mit libyschen Waffen auszustatten. Auch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria könnte Waffen erhalten haben.

Experten am UN-Sitz in New York berichten, dass die libyschen Rebellen im Kampf gegen Gaddafis Truppen sämtliche Sturmgewehre, Panzerabwehrraketen und Maschinengewehre aus seinen Waffenlagern abtransportiert hätten. „Sicher ist, dass Waffen in den Tschad, nach Mali und Niger gebracht wurden“, sagt Mauretaniens Außenminister Hamadi Ould Hamadi. Nigers Staatschef Mahamadou Issoufou zufolge sind die libyschen Waffen „über die Sahelzone und die Sahararegion verstreut und könnten in die Hände von Terroristen fallen“. In Niger haben hohe Offizielle des Gaddafi-Regimes Zuflucht gesucht.

Die britische Regierung zeigt sich insbesondere darüber besorgt, dass Waffen womöglich in den Sudan geliefert wurden. In einem westlichen Geheimdienstbericht ist von Lastwagen voller Waffen die Rede, die in die sudanesischen Krisenregionen Darfur und Südkordofan fuhren. „Wir können nicht ausschließen, dass einige Waffen von Libyen nach Darfur gelangt sind“, sagt auch der sudanesische Vertreter bei der UNO, Daffa-Alla Elhag Ali Osman.

Die USA überwachen gemeinsam mit der neuen libyschen Führung die noch vorhandenen Waffendepots im Land. Sie würden auch gern in anderen Ländern wie Mali und Algerien nachsehen, ob dort libysche Rüstungsgüter gelandet sind; dies stoße bislang aber auf Ablehnung seitens der betroffenen Regierungen.

Seitens der UNO kann Martin eine Entwarnung geben: Die Chemiewaffen und das atomare Material Gaddafis „scheinen in Sicherheit zu sein“, sagte er.