Die Berge herausfordern

Da hilft nur jodeln: „Wenn wir wüssten, wie frei wir sind, würden wir zerplatzen“, sagt Noldi Alder, einer der Helden des Films „heimatklänge“ von Stefan Schwietert

„heimatklänge“, kleingeschrieben, heißt der vielfach ausgezeichnete neue Film des in Berlin lebenden Schweizer Musikdokumentaristen Stefan Schwietert (u. a. „A tickle of the heart“). Er porträtiert drei beeindruckende Schweizer Stimmkünstler, die sich bemühen, die traditionelle alpenländische Musik jenseits der Volkstümelei weiterzuentwickeln.

Der Film beginnt mit stimmungsvollen, aus dem Hubschrauber aufgenommenen Bildern der „trutzigen“ Schweizer Bergwelt. Im Presseheft steht oft dieses Wort: trutzig. Die Schönheit dieser Bilder wird dadurch getrübt, dass man meint, sie da und dort schon, in Werbefilmen, gesehen zu haben. Anstatt einen also in den Film hineinzuziehen, wirken die teuren Bilder wie Zitate anderer Bilder „sonnenbeschienener Täler“, „unberührter Seen“, „in den Wolken dämmernder Gipfel“. Das geschieht auch, weil sie aus einer Perspektive aufgenommen sind, die der Bewohner oder Besucher der schweizerischen Bergwelt nicht hat.

Auch wenn die Bilder dem inhaltlich Behaupteten manchmal widersprechen, zieht einen die Dokumentation mit ihren beeindruckenden HeldInnen gegen anfängliche Widerstände in den Bann. Am Ende des Vorspanns hört man etwa Christian Zehnder – einen der drei Protagonisten – sehr berührend melancholisch jodeln oder juchzen. Dann sagt er, das Jodeln käme daher, weil man dieser Landschaft etwas entgegensetzen müsse. Und deshalb, wegen dieser Landschaft, gäbe es auch so viele skurrile Leute hier. Die Leute, die man dann sieht, tatsächlich mit seltsamen Puppenhäusern auf dem Kopf, mögen tatsächlich von der Natur geformt sein; die Bilder der Landschaft sehen aber aus wie Kunstpostkarten.

Dies trübt etwas die Freude. Ansonsten ist es schon beeindruckend, wie es Stefan Schwietert gelingt, so viele Geschichten in diesen Film zu packen, sie miteinander zu verbinden und dabei auch noch Raum für Stille zu lassen.

Der Appenzeller Noldi Alder entstammt einer weltberühmten Volksmusikdynastie und war als Kind schon gefeierter Plattenstar. Irgendwann löst er sich von der Tradition und beginnt eigene Wege zu gehen, die dem Vater nicht unbedingt einleuchten. Er sagt: „ Wir können so frei sein. Wenn wir wüssten, wie frei wir sind, würden wir zerplatzen.“

Christian Zehnder wiederum ist Sänger, Obertonkünstler und auch Therapeut. Seine Auftritte haben etwas Ekstatisches. Er sagt, das Jodeln und Juchzen suche immer nach einer Antwort – den anderen oder das Echo – und berühre die großen existenziellen Fragen: „Wer bin ich? Woher komme ich? Aus was schöpfe ich?“

Die schwizo-amerikanische Performance-Künstlerin Erika Stucky schließlich agiert sehr extrovertiert – das sei ihr amerikanisches Erbe, sagt sie – zwischen Jazz, Pop, Welt- und Volksmusik.

„heimatklänge“ erzählt mit unterschiedlichen Materialien, auch privaten Super-8-Filmen, und von vielen Orten: es geht auch nach Amerika. Erst im Abspann sind die drei virtuosen Stimmakrobaten zusammen zu sehen. Der Klang der von Wörtern befreiten menschlichen Stimme ist beeindruckend, gleichzeitig kommt einem dies Jodeln und Juchzen, dies „mit der Stimme aus sich herausgehen“ oft recht seltsam vor. Man versteht die Tochter von Erika Stucky recht gut, wenn sie irgendwann am Küchentisch sagt, sie schäme sich oft, wenn die Mutter singe. „Aber zum Glück singt sie ja vor allem in Deutschland.“

DETLEF KUHLBRODT

„heimatklänge“. Regie Stefan Schwietert. Deutschland/Schweiz 2007, OmU, 81 Min. Der Film ist derzeit in verschiedenen Kinos zu sehen, das Arsenal widmet dem Regisseur bis zum 23. 10. eine Reihe