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Archiv-Artikel

ACHSE DES BRAZIL VON FRANK SCHUSTER

Bossa-weises Brodeln

Die Musikzeitschrift Spex empfiehlt in ihrer aktuellen Ausgabe „18 radikale Quereinstiege“ in das, was in einem mehrseitigen Special unter Vermeidung des Wortes Weltmusik „Global Pop“ heißt. Vinicius Cantuárias 1999er Album „Tucumá“ gehört diesem Kanon der must haves an – neben Werken von M.I.A. und Manu Chao. Obwohl die CD-Fächer „World“ und „Indie“ noch nie wirklich von denselben Käufern aufgesucht wurden, bildete Brasilien – zusammen mit Jamaika – doch schon immer eine Ausnahme.

Andreas Neumeister beschreibt es in seinem Roman „Gut laut“ so: „Ich fand mich plötzlich in eher ekligen Weltmusikabteilung wieder. Wegen Brazil (Dagmar sagt: The best Chill Out ever).“ Werden Weltmusik im Allgemeinen und Musik aus Südamerika im Besonderen gemeinhin mit „hot“ („heiße Rhythmen“) gleichgesetzt, ist Bossa Nova, die Neue Welle brasilianischer Kultur, „cool“. Tatsächlich wurde das Genre schon immer stark vom Cool Jazz beeinflusst, auch der heute 56-jährige Sänger und Gitarrist Vinicius Cantuária. Auf seinem neuen Album „Cymbals“ zeigt er sich erneut als Beherrscher der seltsamen Bossa-Kunst, es eher unter der Oberfläche brodeln zu lassen, das Heiße nur gelegentlich durch die Coolness seiner leisen, von schwebenden Akkorden geprägten Songs durchbrechen zu lassen. Der dafür von Künstlern wie Brian Eno und Bill Frisell verehrte Cantuária hat mit „Cymbals“ ein abgeklärtes Alterswerk geschaffen.

Vinicius Cantúaria: „Cymbals“ (Naïve)

Neuer Klassiker des Brazilectro

Als vor wenigen Jahren die Brazilectro-Welle rollte, staunten Brasilianer nicht schlecht darüber, was in Europa passierte: Da mixten DJs Bossa Nova, Samba und Tropicalia mit elektronischer Musik. Heute ist das meiste dieser Spielart längst in die Belanglosigkeit abgerutscht und bietet lediglich, was Chillout-Sampler mit Titeln wie „Brazilian Flavoured Club Tunes“ versprechen: exotisch gewürzte Bistro-Beschallung zur Ausweitung der Wellnesszone. Das Phänomen erlebte sein transatlantisches Feedback – in Brasilien entstanden Bands wie Suba und Bossacucanova, die zeigten, dass das Land mit dem unermesslichen Beat-Reichtum auch in Sachen Bytes kein Entwicklungsland ist.

Exportschlager Nummer eins aber ist Bebel Gilberto, und es sieht ganz danach aus, als könnte die 27 Jahre alte Maria Do CéU Whitaker Poças, kurz CéU (zu Deutsch: „Himmel“), sie beerben. In den US-Billboard-Charts mischt sie schon vorne mit, die Kaffeehauskette Starbucks hat sie als erste ausländische Künstlerin in ihre CD-Serie aufgenommen. Das alles sollte aber nicht davon ablenken, dass ihr Debüt wirklich etwas zu bieten hat. Sicher, die junge Frau, die vom Cover mit Korkenzieherlocken herablächelt, erfindet Bossa und Brazilectro nicht neu. Aber „CéU“ ist die Sorte Album, die aufgrund von Perfektion und Stimmigkeit einem Genre einen Klassiker beschert – wenn auch die Vorarbeit andere leisteten. Harmonisch, aber nicht zu klebrig; nicht schräg, aber auch nicht ohne Experiment. Es fällt wie immer schwer, schönen Songs zu widerstehen.

CéU: „CéU“ (Six Degrees/Exil/Indigo)

Forro trifft New York und rumpelt

Brasilien ist aber nicht nur Samba und Bossa Nova. Spätestens Kaurismäkis Dokumentarfilm „Moro no Brasil“ (2002) hat gezeigt, dass es noch eine ganze Menge weiterer Strömungen gibt, unter anderem den Forro – eine im Vergleich zur Samba ebenso rhythmische Musik aus dem Nordosten Brasiliens, die meist mit minimaler Instrumentierung auskommt. Forro In The Dark, vor fünf Jahren in New York vom brasilianischen Perkussionisten Mauro Refosco (Lounge Lizards, Bebel Gilberto) sowie dem Gitarristen und Bassisten Smokey Hormel (Tom Waits, Johnny Cash, Beck) gegründet, sind so etwas wie die Fusionisten unter den Forro-Bands; sie kreuzen den traditionellen Stil mit Jazz, Reggae und Pop. New York, in dem auch Vinicius Cantuária lebt, war schon immer gut für die Auffrischung oder sogar Erfindung lateinamerikanischer Traditionsgenres. Der Forro-In-The-Dark-Mix gerät aber nicht wie bei so vielen „X begegnet Y“-Projekten beliebig, sondern generiert einen ganz eigenen Stil, in dem fiepsige Soundexperimente und rumplige Avantgardismen (Tom Waits und die Lounge Lizards lassen grüßen) mit ausgelassener Spielfreude einhergehen – sonst ja eher selten. Etwas für Bauch und Intellekt gewissermaßen. Zwei Titel singt ihr Förderer, Ex-Talking-Head David Byrne, und bei einem Song haucht die Nu-Bossa-Sängerin Bebel Gilberto ins Mikro. Weltpopmusiker aller Länder, vereinigt euch.

Forro In The Dark: „Bonfires Of São João“ (Nublu Records/Alive)