: Mehr Schrei’n als Sein
Den Vollzeitvater lastet die Kinderpflege nicht aus. So schreibt er Buch um Buch über sein avantgardistisches Dasein. Vorbildlich
VON NATALIE TENBERG
Er macht sich verdächtig, der moderne Mann. Er jagt nämlich nicht mehr, er schreibt. Geschichten, direkt aus seinem Leben und ganz nah an unserem. Dabei beschäftigt den radikal-modernen Mann längst nicht mehr die Liebe zu seinem Viertel, seiner Kneipe oder seiner Lieblingsband. Er schreibt nicht über das warme wohlige Gefühl, das ihn im prallvollen Fußballstadion überkommt oder beim Sex. Nein, der neue geistige Heizpilz des modernen Mannes, an dem er sich wärmt, ist der große gemeinsame Nenner zwischen Mann und Frau, nämlich das Kind, sein Kind.
Vaterbücher mögen nicht repräsentativ sein, avantgardistisch sind sie schon. Schließlich soll der Vater, der sein Kind hütet, irgendwann zur Normalität werden. Damit es so wird, muss dann auch mal jemand damit anfangen. Eine erfüllende Aufgabe. Jeder, der schon mal einen strahlenden Vater vor der Wiege seines fröhlich glucksenden Kindes hat stehen sehen, wird das Universelle an der Liebe zu den Kindern entdecken. Kinder machen glücklich.
Bislang nur schwieg der glückliche Mann, heute plaudert er. Über Biogemüse, erste Zähnchen. Über durchwachte Nächte und den Wunsch, es möge sich doch trotz des ganzen Schlamassels bald das nächste Kind ankündigen.
Früher gehörte das, was unter dem Begriff „Vaterbuch“ lief, zur Nachkriegsliteratur, beschäftigte sich das Vaterbuch mit dem abwesenden Vater, der Vergangenheit. Das neue Vaterbuch hingegen stellt nicht mehr länger den eigenen Vater in den Mittelpunkt, sondern das eigene Vatersein. Das plötzliche, das geplante, das schwierige. Nachdem der Held, also der Autor, den kathartischen Moment der Geburt überstanden hat, also den Punkt, als alles anders wurde, geht es aufwärts mit ihm. Der Windelwechsel mitten in der Nacht, die Speiflecken auf dem Teppich, die Angst vor dem Versagen stellen für den Autor keine Tiefpunkte dar, sondern weitere Prüfungen auf dem Weg zum reifen, erwachsenen Menschen. Gerne werden an diesem Punkt die (ehemaligen) Freunde bemitleidet, die keine Kinder haben. Oder man drischt auf die kinderfeindliche Gesellschaft ein.
Das zeitgenössische Vaterbuch fällt unter die Kategorie „Erbauungsliteratur“. Der Leser soll von diesen Prüfungen lesen, sich daran erbauen, in der Hoffnung, dass auch sein Leben besser wird. Genau wie die Heiligenlegenden dem Leser im tristen Alltag bei der Stange halten sollten, hat auch der emotionale Versicherungsschein „Vaterbuch“ eine klare Botschaft: Es geht! Damit es geht, gibt das Vaterbuch Anweisungen zum tugendhaften Leben des Mannes mit Kind. Vorher war man eher verlotterter Journalist, denn die Vaterbücher werden vornehmlich von Journalisten geschrieben, nachher früh aufstehender Papa.
In Vaterbüchern wie Kester Schlenz’ Veteranenstück „Mensch, Papa!“ kamen lauter lustige, mitunter nachdenkliche, Szenen aus dem verrückten Alltag mit Kind vor, die dann auch gerne „Abenteuer“ genannt werden. Neuerdings nähert sich der Vaterautor dem Thema theoretischer, sinniert wie Eberhard Rathgreb darüber, wie dieses Vatersein eigentlich ist, kommt dabei zu einem Fazit wie „Männer und Frauen – was für ein Wahnsinn.“ Den gleichen Schluss, möchte man meinen, zieht Robin Alexander in „Familie für Einsteiger“. Auf dem Spielplatz begegnet er der Mütterpolizei: Frauen, die glauben, alles zu wissen, und das gerne autoritär mitteilen.
Eltern werden nicht bestreiten, dass man die Erbauung in der Babyphase nötig hat. Man möchte vor Müdigkeit umfallen, das würde aber nur den Betrieb aufhalten. Das, was das Leben bisher ausgemacht hat, zieht an einem vorbei. Jungen Eltern flattert aus Angst, das alte Leben zu verlieren, das Herz. Da wirkt das Vaterbuch wie ein Beta-Blocker.
Tatsächlich sind wenige Veränderungen so tief greifend wie die, ein Kind zu bekommen. Verunsicherung folgt der Geburt unweigerlich. Für Frauen sowieso, für Männer nicht minder. Ohne Anleitung, glaubt man, mache man das Kind sofort kaputt, und dann kann man es nicht zu Tchibo bringen und umtauschen. Die größte Angst, die mein Freund hatte, war die vor dem plötzlichen Kindstod. Das Baby durfte, auch als der Kopf hinten schon platt war, nur auf dem Rücken liegen. Kuscheltiere waren tabu, das Schlafzimmer wurde zur Eisbox. Mein Freund folgte den konkreten Anweisungen, die wir von der Klinik und der Hebamme erhielten. Grundlegende Ratschläge, die ich aus sämtlichen Ratgebern zusammensuchte, bekam er von seinem besten Freund, einem dreifachen Vater, am Telefon. „Regelmäßigkeit? Aha. Jeden Abend um die gleiche Zeit also,“ hörte ich ihn im Wohnzimmer sagen. Zwei Minuten später stand er in der Küche. „Die Kreutzer-Kinder gehen jeden Abend um acht ins Bett. Sollten wir das nicht auch mal versuchen?“ Wir kam zur Übereinkunft, dass auch wir das Mädchen, das gerade erst fünf Monate alt war, jeden Abend um die gleiche Zeit mit einem kleinen Ritual ins Bett zu bringen. Es funktionierte. Das Kind schlief.
Mein Freund wusste nicht, wie man ein Baby massiert, ob man kleine Kinder an den Armen anheben sollte, oder was man unserer Tochter wohl kochen könnte. Machte das Mädchen einen fröhlichen Eindruck, war es Grund genug, weiterzumachen, weinte sie, dann eben nicht mehr. Wir Frauen haben dieses Intuitive an der Mutterrolle schon lange überwunden, oder verloren. Der gesellschaftliche Wandel zum Mitmach-Vater aber bringt das Vaterbuch, mit der Intuition kann es dann erst mal aus sein. Familien versinken nicht mehr im Chaos, nur weil die Mutter arbeiten geht. Die Trial-and-Error-Methode wird abgeschafft, auch weil ja die ersten Jahre, in denen die Eltern noch wild rumprobieren, so wichtig für die kindliche Entwicklung und somit für den Rest des Lebens sind. Soll das Kind ein überglückliches und intelligentes Wesen werden, kann man sich diese Schlamperei einfach nicht mehr leisten. Das sehen ehrgeizige Väter ein.
Bei einigen Frauen stößt der männliche Ehrgeiz bei der Kinderbetreuung auf Ablehnung. Verzweifelte Väter werden bevorzugt.
Noch sind die Vaterbücher reine Geschenkbücher, von kinderlosen Freunden in der Buchhandlung aufgelesen, die zwischen den Buchdeckeln diffamiert werden. Männer erlangen, sollten sie die Bücher jemals lesen, etwas, was wir Frauen gar nicht abgeben wollen, nämlich den Unfehlbarkeitsanspruch in der Kindererziehung. Bisher galt der aus den verschiedenen Werken zusammengeklaubte Wissensvorsprung als Machtfaktor. Wo kommen wir denn jetzt hin, wenn die Männer anfangen, sich gegenseitig Ratgeberlein zu schreiben? Der Mann, unbelesen und unbedarft, soll bitte schön nach Anweisung der Frau durch das Vatersein stolpern.
Der einzige Vater bei der Spielgruppe wird schnell erkennen, wie weit es mit der Gleichberechtigung gekommen ist. Die anderen Mütter werden seine Frau beneiden, kann sie doch schlafen oder zum postnatalen Yoga gehen, vielleicht sogar ihren Beruf ausüben, während er nackten Kindern im warmen Raum ein Liedchen trällern muss. Er darf dann auch im Wer-kann-was-Spiel mitmachen und erzählen, wie sich Friedrich oder Otto zum ersten Mal allein umdrehte. Doch wehe, das Vater-Kind weint. Bei der Babymassage erlebte ich, wie sich der Vater der kleinen Hannah von der Mutter von Annabell-Luise ein handfesten Rüffel einfuhr, könne doch jeder sehen, was das Kind bräuchte. Dass die Mutter von Annabell-Luise die kleine Hannah gar nicht kannte, spielte keine Rolle. Der Mann musste erzogen werden.
Das plaudernd Leichte der lustigen Vater-Kind-Bücher trägt weiterhin zur öffentlichen, weiblichen Aufregung bei. Wir haben uns mit dem Kind abgerackert, und die Väter wollen nun nach getaner Emanzipationsarbeit die Kindererziehung übernehmen und alles ganz einfach finden? So einfach, dass sie, wie Robin Alexander mit „Elternvollzeit“ zeigt, noch ein Buch darüber schreiben können? Vielleicht eine Erklärung dafür, warum bei jeder Diskussion um Vaterbücher der Schnappreflex der vereinten Mutterschaft auftritt. Männer würden sich nun öffentlich als Väter gebaren, während Frauen sich ohne diese Selbstreflexion an das Windelnwechseln, Fläschchengeben, Kinderwagenschieben machen würden. Es ist ja nicht so, als hätten Frauen noch nie über das Muttersein, das Mutterwerden, Elternzeit, Spielplatzhorror berichtet. Natürlich haben sie das. Als Schwangerschaftsratgeber von Schauspielerinnen und Schauspielerfrauen, Bücher über die Rückkehr in den Beruf oder auch einfach nur als netter kleiner Mutterroman, Frauen schreiben nicht nur über das Kinderkriegen und -haben. Sie lesen es auch.
Ein Mann aber, der nun auch etwas zur Debatte beitragen möchte, oder gerade nicht, sondern nur eine Geschichte erzählt, sieht sich dem Vorwurf des Narzissmus ausgesetzt. Schreibt er doch nicht über das Kind, sondern zwangsläufig auch über sich selbst, als Kinderzieher. Den Kindererziehern aber lastet etwas Besserwisserisches an. Am Kind nämlich kann man seine politisch korrekte Lebenseinstellung prima verdeutlichen. Natürlich glauben wir, dass die Art und Weise, in der wir unser Kind erziehen, die beste von allen ist. Wenn der Mann nun prahlt, ganz für sein Kind da zu sein, ja es sogar zu wollen, dann sehen wir, die es anders machen, unseren Lebensentwurf widerlegt.
Für den schreibenden Vater ist das Vaterbuch hingegen eine Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben. Die Frau wird einen lieben, kommt sie doch meistens gut weg, Geld kriegt man auch noch, und der eigene Erziehungsansatz ist auch der beste. Das Kind sowieso, aber das sieht man ja.
Für Männer, die nur konkrete Anleitungen brauchen, sich aber der Nabelschau der Autoren nicht aussetzen möchten, gibt es glücklicherweise eine Alternative. „Das Baby – Inbetriebnahme, Wartung und Instandhaltung“ von Louis und Joe Borgenicht, übrigens Vater und Sohn, ist wie eine Bedienungsanleitung angelegt. Das Kind wird entmenschlicht und als empfindliches Gerät dargestellt, dessen Bedienung mit ein wenig Übung einfach ist. Erbauungsliteratur ist es zwar nicht, dafür aber praktisch. Und das wird den meisten Männern gut gefallen. Ist das Kind nämlich erst mal ruhig, kann er sich anderen erbauenden Themen widmen, wie der Lieblingskneipe, Fußball oder wie man ein moderner Mann wird.
Welche psychologischen Probleme den Kindern der Vaterbuch-Generation erwachsen, bleibt noch abzuwarten. Darauf, dass der Vater abwesend und schweigsam war, wird es nicht herauslaufen. Kinder von Vaterbuch schreibenden Vätern werden nicht zu kalt gebadet oder sitzen nicht unangeschnallt auf der Rückbank. Sie bekommen regelmäßig ihr Essen und dürfen abends sogar die Mutter sehen. Vielleicht werden die Kinder von heute eher unter der Gesprächigkeit der Eltern leiden, die immer unbedingt und alles, was mit dem Kind zu tun hat, besprechen müssen. Vielleicht aber werden sie ihres Vaters einfach überdrüssig. „Immer war mein Vater da,“ werden in zwanzig Jahren die Kinder unserer Zeit seufzen. Das Elterndasein macht zwar glücklich, doch trotz aller Literatur sehr anfällig für Fehler.
NATALIE TENBERG, Jahrgang 1976, ist taz- Autorin. Sie hat eine Tochter geboren und ihre Elternzeit mit ihr verbracht, ohne ein Mutterbuch zu schreiben. Bislang