: 90 Prozent sind einfach zu viel
betr.: „Auf der anderen Seite“, taz vom 10. 10. 07
In den betroffenen Bereichen von Mitte (um den Arkonaplatz, Rosenthaler und Spandauer Vorstadt) fehlen in den nächsten Jahren Grundschulkapazitäten von bis zu fünf Klassen pro Jahrgang. Das einzige zusätzlich nutzbare Schulgebäude (Koppenplatz 12, leider zu Lasten des Theaterhauses) bietet nur Platz für eine zweizügige Grundschule, die anderen wurden ohne Rückkehrmöglichkeit aufgegeben, den Privatschulen überlassen oder sind baufällig.
Im Beitrag wird der Unwillen der bildungsorientierten Eltern aus Mitte, ihre Kinder auf Grundschulen im sozialen Brennpunkt Wedding mit fast 90 % Migrantenanteil zu schicken, in den Mittelpunkt gestellt und der Eindruck erweckt, bei Einschulung aller „Mittekinder“ wenige hundert Meter weiter im Wedding wären die Probleme gelöst. Das ist falsch. Auch die Gustav-Falke-Schule (Wedding) hat dieses Jahr eine zusätzliche erste Klasse eingerichtet. Nach den aktuellen Kinderzahlen kommt auch sie an ihre Aufnahmegrenze. Mit ein bisschen Umverteilung alleine ist der Mehrbedarf nicht zu bewältigen. Der Versuch von Frau Hänisch, „etwas gegen die Zementierung der sozialen Grenze (zu) tun“, funktioniert schon seit fünf Jahren nicht. Die Elterninitiative „Schule im Kiez“ war mutig genug, ein soziales Phänomen, das sich auch anderswo findet, zu thematisieren. Auch die Elterninitiative hadert mit dieser Haltung der Abgrenzung und fände um 30 % Migrantenkinder entsprechend der Berliner Realität ehrlicher als z. B. unter 10 % wie derzeit an der Papageno-Schule. Aber 90 % sind einfach zu viel. Man hätte besser schon in den 90ern die „Überkapazitäten“ in Mitte nicht abwickeln, sondern für Kinder aus dem Wedding öffnen sollen.
Es wäre Aufgabe einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, für die offensichtlich misslungene Integration Lösungsansätze zu finden, anstatt mit dem Finger auf Eltern zu zeigen, die sich gegen das kurzsichtige Diktat einer hilflosen Integrationspolitik wehren. Der eigentliche Skandal ist die Ignoranz und mangelnde Vorausschau der politischen Entscheidungsträger, ausreichende Schulkapazitäten zu schaffen. Dies zu thematisieren wurde leider im Bericht versäumt.
CORDULA HARISCH, CHRISTOPH RICHTER, Berlin