Eine Frage des Ordnungsrechts

Während AbgängerInnen und Eltern der nicht genehmigten Schule am Körnerwall ihr Projekt verteidigen, entbrannte gestern im Parlament ein heftiger Streit – aber nicht über Pädagogik

von Jan Zier

Ronja Wöstheinrich kann die Aufregung um ihre ehemalige Grundschule nicht verstehen. Von 1994 bis 2001 besuchte sie die – offiziell nicht genehmigte – freie Schule am Körnerwall. „Und es hätte für mich keine bessere Schule geben können“, sagt die 17-Jährige, die mittlerweile ein staatliches Gymnasium in Verden besucht. Und gestern von der Tribüne mit verfolgte, wie sich die politischen Parteien auf Betreiben der CDU heftig über das einstige Schulprojekt stritten.

Über pädagogische Fragen wollte die CDU dabei im Parlament gar nicht erst reden, auch nicht Claas Rohmeyer, ihr bildungspolitischer Sprecher. Sondern über „eine einfache ordnungsrechtliche Frage“: Wie konnte es sein, dass am Körnerwall Eltern „jahrzehntelang“ und „organisiert“ ihre Kinder der staatlichen Schulpflicht entzogen? Weit über 200 Kinder sind in 14 Jahren durch diese Schule gegangen. Offiziell aktenkundig wurde das erst Anfang dieses Jahres, noch unter der großen Koalition, bei einem Abgleich von Melderegistern.

Der damalige Bildungssenator Willi Lemke (SPD) wollte die Sache – anders als seine Nachfolgerin – damals nicht so sehr an die große Glocke hängen. Sondern „behutsam“ reagieren, wie Güngör das nennt, „im Sinne der Kinder“. Er telefonierte mit den führenden BildungspolitikerInnen aller drei Fraktionen, auch Rohmeyer war darunter. Man vereinbarte Stillschweigen – und ein Moderationsverfahren. Mittlerweile sind alle Kinder aus der Schule am Körnerwall in genehmigten Schulen untergebracht.

„Wir waren informiert“, sagt Anja Stahmann von den Grünen, die damals ebenfalls mit Lemke sprach – „auch über die Dimension“. Die CDU wies das gestern vehement von sich, will von dem Ausmaß der „Schulverweigerung“ nichts gewusst haben, sieht sich dieser Tage von der neuen Bildungssenatorin Renate Jürgen-Pieper (SPD) „in Erstaunen“ versetzt.

Auch in der SPD-Fraktion gab man sich gestern empört: „Das ist abenteuerlich“, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Mustafa Güngör, die Arbeit des Bildungsressorts „rätselhaft“, das Vorgehen der Eltern „auf keinen Fall akzeptabel“. Nie wieder dürfe eine derartige Verletzung der Schulpflicht sich in Bremen wiederholen, ruft Güngör aus. „Das ist kein Kavaliersdelikt.“ Und Renate Jürgen-Pieper sagt das auch. Juristisch betrachtet ist es eine Ordnungswidrigkeit, die Eltern mussten dafür Bußgeld zahlen.

Jürgens-Pieper machte gestern „kein Hehl“ daraus, dass sie Privatschulen wie jene am Körnerwall als „sehr elitär“ ansieht und deshalb grundsätzlich ablehnt. Und dass sie auch das Homeschooling wie bei Familie Neubronner aus Bremen-Nord (taz berichtete) nicht dulden werde. Die Kritik an ihrem Vorgänger, der gestern bei der Parlamentsdebatte neben ihr auf der Senatorenbank saß, fällt dezent aus: „Sehr freundlich“ sei man mit den Eltern umgegangen, „das hätte auch anders aussehen können“. Jürgens-Pieper sieht die ungenehmigte Schule in einer Tradition der Jahre vor 1920, als wohlhabende Eltern Privatlehrer für ihre Kinder engagierten. „Dahin wollen wir nicht zurück.“ Gerade in Bremen sei die Tendenz, sich der staatlichen Schule zu entziehen, „echt heftig“. Wöstheinrich ficht das nicht an. „Ich stehe dazu“. Auch wenn sie jetzt dafür den Kopf hinhalten müsse.