: Blick hinter Pflegeheimmauern
Welche Mängel die Krankenkassen so alles in schleswig-holsteinischen Pflegeheimen vorfinden, veröffentlichen sie nun im Internet – zumindest fast: Details verhindert der Datenschutz
VON ESTHER GEISSLINGER
Bei der Prüfung sahen die Gutachter Übles: Mehrere Patienten in dem Altenheim hatten Wunden vom Liegen, andere waren untergewichtig. Aufgeführt sind solche und andere Pflegemängel in den Prüfberichten, die der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) nach seinen Kontrollen erstellt. Bisher erhält die Öffentlichkeit keinen Einblick in diese Berichte. Die Ersatzkassenverbände VDAK und AEV in Schleswig-Holstein wollen nun dafür sorgen, dass Pflegebedürftige und Angehörige mehr über die Lage in Einrichtungen erfahren. Dazu stellten sie gestern einen „Pflege-Atlas“ vor, in dem alle rund 620 Heime und 450 ambulanten Pflegedienste in Schleswig-Holstein aufgeführt sind.
Dort ist verzeichnet, wann der MDK zuletzt kontrolliert hat und ob ein Prüfbericht vorliegt. Details aus dem Inhalt verrät der neue „Atlas“ nicht – das verbietet der Datenschutz. Schon mit den jetzt veröffentlichten Angaben begebe man sich „in eine Grauzone“, sagte Dietmar Katzer, Leiter der Ersatzkassenverbände im Land. „Aber wir wollen Druck auf die Einrichtungen und die Politik machen, mehr Transparenz zu schaffen.“ Laut Plänen der Bundesregierung soll die Öffentlichkeit besser über die Zustände in Heimen informiert werden – diesen Prozess will Katzer beschleunigen.
Das Problem ist nur: Aus den Daten geht nicht hervor, ob die Prüfung stattfand, weil sich Beschwerden häuften, oder ob es sich um eine Routine-Kontrolle handelte. Oder ob ein Heim ein gutes oder schlechtes Ergebnis erzielte. Im Schnitt sollte jedes Heim im Dreijahresrhythmus vom MDK und jährlich von der Heimaufsicht getestet werden. Die Tatsache der Prüfung allein besagt also gar nichts. Immerhin berichtete Armin Tank, bei den Ersatzkassen für den Pflegebereich zuständig, dass in den meisten Fällen „anlassbezogen“ kontrolliert wird – also wegen vermuteter Mängel. „Wenn ich meine Mutter in einem Heim unterbringen wollte und sehe, dass geprüft wurde, würde ich nachfragen“, lautet denn auch der Tipp von Dietmar Katzer. Er rechnet damit, dass seine Verbände für den Vorstoß Schelte kassieren werden: „Man wird sagen, der Atlas sei unlauter, unzulässig und nicht abgesprochen.“
Prompt meldete sich der Paritätische Wohlfahrtsverband zu Wort: Die Maßnahme der Kassen sei überflüssig, denn „schon heute können Interessierte nachfragen – und sollten es tun“, erklärte Anna Meiners, Fachreferentin für Pflege. Eine gut geführte Einrichtung werde „immer bereit sein, auf Fragen zu antworten“. Meiners empfiehlt, beim Heimbeirat nachzufragen, dem Mitbestimmungsgremium der Bewohner. Für Nichtfachleute seien die MDK-Berichte ohnehin unverständlich. Das bestätigte auch Armin Tank: „Das Gutachten für eine mittelgroße Einrichtung umfasst 120 Seiten, und der geneigte Laie versteht es nicht.“ Dennoch sei es sinnvoll, sich die Zusammenfassung zeigen zu lassen: „Die versteht man schon.“
Wer einen Heimplatz sucht, hat in Schleswig-Holstein die Wahl: 31.000 Menschen, die in Heimen untergebracht sind, stehen 36.000 Betten gegenüber. Insgesamt gibt es nach Angaben der Ersatzkassen rund 78.000 Pflegebedürftige im Land – 2,7 Prozent der Bevölkerung. Der überwiegende Teil wird zu Hause betreut, entweder von Angehörigen oder durch ambulante Dienste. Die zu überprüfen, sei schwierig, erklärte Katzer: „Fast täglich“ würden einige geschlossen und andere gegründet.
Der Landespflegeausschuss – ein Gremium aus Versicherungen, Trägerverbänden und kommunalen Spitzenorganisationen – und das schleswig-holsteinische Sozialministerium haben sich Ende September auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, das unter anderem vorsieht, dass Seniorenbeiräte Pflegeheime besuchen. Und es geht wieder um Transparenz: Berichte sollen in verständlicher Sprache und Form erscheinen, mitreden wollen dabei Pflegekräfte, Patienten und die Trägerverbände. Für Katzer ein unmöglicher Zustand: Als müsste „Stiftung Warentest sich erst mit den Herstellern absprechen“, sagte er.
Der „Pflegeatlas“ im Internet: www.vdak-aev.de