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Archiv-Artikel

Rotkäppchen kotzt in den Wald

AUSSTELLUNG Eline van Dam macht Konzertplakate, die nicht einfach nur Werbung sind, sondern eigenständige Kunstwerke. In Bremen ist nun eine Werkschau zu sehen

„Am besten ist es, wenn meine Arbeiten körperliche Gefühle auslösen“

Eline van Dam

VON RADEK KROLCZYK

Das „Flieseneck“ liegt am vorderen Ende des Güterbahnhofsgeländes im ehemaligen Verwaltungsteil, dem heutigen Kulturzentrum „Spedition“. Seinen hübschen Namen verdankt der erst vor wenigen Monaten eröffnete Ausstellungsraum, einer weiß gekachelten Ecke, die vom Güterverladebetrieb übrig geblieben ist. In der kleinen Galerie, die Michael Hohendorf und Hans-Georg Schäfer dort ins Leben gerufen haben, werden die Werke wenig bekannter und explizit experimentell arbeitender Künstlerinnen und Künstler gezeigt.

Als einen roten Faden, der sich durch die Ausstellungen zieht, nennt Hohendorf das Wechselspiel von bildender Kunst und Musik. So ist es nicht verwunderlich, wenn dort heute Abend eine Ausstellung der zwar experimentellen, jedoch keineswegs unbekannten niederländischen Plakatkünstlerin Eline van Dam eröffnet wird. Van Dam, die unter dem Künstlernamen „Zeloot“ arbeitet, wurde vor allem durch ihre surrealistischen Konzertplakate bekannt. Darauf sind verformte Körper, seltsame Kreaturen und Monster zu sehen: Mal zieht eine halbierte Frau ihren eigenen Darm aus ihrem Bauch, um ihn zu essen, mal verschlingt ein junger Mann im Anzug den Kopf seiner Freundin, die er im Arm hält, mal kotzen das Rotkäppchen und seine Freunde, die kleinen süßen Hasen und Vögel, gemeinsam in den Wald.

Van Dam selbst versteht sich als Karikaturistin: „Ich mache die Menschen kleiner oder größer, um ein bestimmtes Gefühl auszudrücken, das die Musik in mir erzeugt. Am besten ist es, wenn meine Arbeiten körperliche Gefühle auslösen“, kommentiert sie im Interview mit der taz ihre Arbeitsweise. Zum Medium Konzertplakat kam sie auf ganz schlichtem Wege: „Ich begann damit, Plakate und Flyer für einen Veranstaltungsort in Den Haag zu gestalten, der ‚Le Garage‘ hieß und sich auf experimentelle Musik, Noise, Electronic, Folk und Drone fokussiert hatte. Später habe ich mit Manuel Padding unter dem Namen Helbaard selbet Konzerte veranstaltet und wurde immer mehr Teil dieser experimentellen Musikszene.“

Ein wichtiger Aspekt hierbei war für van Dam der Do-It-Yourself-Gedanke: „Das Großartige an dieser Szene ist ihre absolute Selbstbestimmtheit. Ich denke, dass diese Idee und das Konzept der Gegenkultur sehr wichtig sind, um neue Ausdrucksmittel zu entwickeln. So entsteht eine Situation, in der dich niemand korrigiert, dir niemand sagt, was du zu tun hast. Im Gegenteil habe ich hier sehr viel gegenseitige Unterstützung und solidarisches Miteinander erfahren. Vielleicht klinge ich wie ein Hippie, aber während dieser Zeit hatte ich das Gefühl, in einer kulturellen Enklave zu leben, in der Verletzlichkeit möglich war und nicht skandalisiert wurde.“

Die Siebdrucktechnik, mit der van Dam ihre Plakate herstellt, passt zu dieser Selbstmach-Kultur, handelt es sich dabei schließlich um eine Vervielfältigungsmethode, die vergleichsweise preiswert und einfach zu erlernen ist. Bereits in den 60er Jahren war der Siebdruck ein wichtiges Ausdrucksmittel der Psychedelic-Szene an der Westküste der USA, aber auch Drogengurus und die linke Szene bedienten sich dieser Technik.

In den Niederlanden ist es heute weit üblicher, für einzelne Konzerte individuelle Plakate anzufertigen, in Deutschland stellt das eher eine Ausnahme dar. Hier dominieren die Standardplakate, die Veranstalter von Konzertagenturen zugeschickt bekommen. „In Groningen gibt es das selbstverwaltete Kulturzentrum Vera, das die jährliche ‚Vera Art Division‘ organisiert“, schwärmt Hohendorf, ein internationales Plakat-Treffen. Er betont allerdings, man müsse „differenzieren, zwischen tatsächlichen Werbeplakaten und Kunstobjekten, die in einer Auflage von 100 Exemplaren gedruckt werden“. Und dafür gibt es einen Markt. Van Dam erzählt, es gebe in den Vereinigten Staaten eine große Konzertplakatsammlerszene, die irgendwann auch auf sie aufmerksam wurde: „Ich wurde in Ausstellungen aufgenommen, meine Arbeit wurde in Zeitschriften und Büchern besprochen.“

Inzwischen entwirft sie auch Konzertplakate für international bekannte Bands wie Sonic Youth und The Decemberists und zeichnet Illustrationen für den New Yorker. In Düsseldorf ist die umtriebige Künstlerin zudem am Plattenlabel Slowboy beteiligt, bei dem jüngst eine farbige Split-Single von David Byrne und Brian Eno erschienen ist.

Zur Ausstellungseröffnung spielen drei Acts aus dem Helbaard-Umfeld, darunter van Dams ehemaliger Weggefährte Manuel Padding mit seinem Projekt City Hands. Außerdem tritt der Musiker und Filmemacher Floris van Hoof aus Antwerpen, auf, der an einer Verbindung von Film und Musik arbeitet.

■ Vernissage: Samstag, 20 Uhr, Konzert und Filme ab 21 Uhr, Ausstellung bis zum 20. 11., Spedition