Eine Gesellschaft im Übergang

IDENTITÄT Im vietnamesischen Spielfilm „Cha và con và“ versuchen junge Menschen in Saigon ihr Leben zu finden (Wettbewerb)

VON DIRK KNIPPHALS

„Unsere sonnigen Tage“ heißt dieser Film auf deutsch. Es sind aber auch sehr dunkle Nächte und einige verschwimmende Übergänge zwischen Hell und Dunkel darunter.

Linear gelesen, ergäbe die Handlung von „Cha và con và“ einen einigermaßen typischen Coming-of-Age-Film im südvienamesischen Setting. Junge Menschen in Saigon und auf dem Land, die versuchen, ihr Leben zu finden, die sich herumtreiben, ihre sexuelle Identität entdecken, verprügelt werden, sich teils verlieren, teils Erfahrungen machen. Aber für eine lineare Filmdramaturgie interessiert sich der 1976 geborene Filmregisseur Phan Dang Di nicht in erster Linie. Er löst die Handlung in viele Mikrodramen auf, fängt Atmosphären ein (wie wichtig in Vietnam das Essen als sozialer Vorgang ist, das kriegt man ganz nebenbei mit) und löst die Eindrücke nicht in Erklärungen auf.

Schön ist das Gespür für Beiläufigkeit, das Phan Dang Di hat. Dies ist sein vierter Film. Kleine Blicke, losgelassene Fröhlichkeit, das kann er. Was ihn etwa von Andreas Dresens „Als wir träumten“ unterscheidet; da sind die jungen Leute ja immer voll in Fahrt beim Desorientiertsein. Der Vergleich mit Dresens Wenderomanverfilmung ist gar nicht so weit hergeholt. Auch Vietnam ist eine Gesellschaft im Übergang. Das liest man beim Sehen der Bilder immer mit.

Es gibt einen Vater, der seinen Sohn vom Schwulsein abhalten will und dann selbst die Frau schwängert, mit der er seinen Sohn verheiraten wollte. Schön dekadente Nachtclubszenen kontrastieren mit dem Schlamm und der drückenden Schwüle der Mangrovenwälder im Mekongdelta. Schutzgelderpresser prügeln auf den Straßen. Gleichzeitig regiert der Staat noch tief ins Privatleben hinein, bis dahin, dass er Prämien auslobt für Männer, die sich sterilisieren lassen. Und die Männer geben das Geld dann für neue Handys aus.

Aber es wäre natürlich falsch, diesen Film nur als Bebilderung eines gesellschaftlichen Zustands zu sehen. Insgesamt hat er etwas sehr schön Flirrendes.

Am Schluss sagt der Sohn, der Fotograf werden möchte: „Ich habe in meinem Leben nichts, worauf ich stolz sein könnte.“ Aber das stimmt gar nicht. Ganz am Schluss sieht man die Fotos, die er im Verlauf des Films immer wieder entwickelt hat. Sie sind sehr schön, sehr nah und sehr lebendig.

■ 14. 2., 17.30 Uhr, 15. 2., 12 Uhr, Haus der Berliner Festspiele