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Archiv-Artikel

Wenn die Sprache Blasen wirft

SINN-TÄUSCHUNG Hamburgs Kunstverein zeigt Kathrin Sonntags Sammelsurium von – teilweise frei erfundenen – Versprechern. Und fokussiert zugleich die Willkür sprachlicher und anderer Konventionen

Von PS
Kathrin Sonntag liebt Unschärfe und hat den Zitaten oft absurde Bilder zugeordnet

„Ein Walross kann 24 Stundenkilometer schwimmen, also so schnell wie ein Radfahrer.“ Das freut einen zu hören – besonders, wenn man sich die schwimmenden Radler vorstellt. Trotzdem hofft man man inständig, man habe diesen Satz selbst geschrieben. Ein Fehler, wie ihn Kathrin Sonntag, in Berlin lebende Schweizer Künstlerin, genussvoll aufstöbert, und das nicht um des Stöberns willen: Eine sehr subtile Sprachkritik unterfüttert ihre aktuelle Ausstellung im Hamburger Kunstverein.

Sie heißt, wie könnte es anders sein, „Mühsam ernährt sich das Einhorn“ und hat 87 Versprecher versammelt, die per Dia an die Wände projiziert werden. Und fast könnte man meinen, die Künstlerin habe nicht nur die Wurzeln von Sprache, sondern auch die des virtuellen Bildes gesucht, indem sie gelbe Post-it-Zettelchen mit Versprechern erst fotografierte, dann auf Dias bannte und anschließend auf große Papierbahnen projizierte.

Wozu dieser Aufwand, denkt man, das sind doch ganz normale Fehler. Versprecherchen, die für den kurzen Lacher taugen und sofort vergehen. Doch vergehen sollen sie ja gerade nicht, findet die Künstlerin. Da hat sie schon immer gegen angesammelt, auch auf Collagen und Fotos ihrer heimischen Pinnwand. Manchmal erklärte sie gar ihren Schreibtisch zur Pinnwand und fotografierte ihn, um das Ganze dann auf die Steckbretter des 17. Jahrhunderts zu beziehen, die Künstler so echt malten, dass sie als Trompe l’oeil – Augentäuschung – durchgingen.

Kathrin Sonntag erzeugt in Hamburg Augen-, Sinnes- und Sinntäuschungen, wenn sie mit Versprechern arbeitet, die so subtil sind, dass man sie zunächst gar nicht bemerkt. „Nicht mit vollem Mund essen“ ist so einer, oder „Saalwetter“. Klingt plausibel, nicht? Oder wie wär’s mit einer Prise „Apfelkomplott“ oder dem berühmten „Treibholz-Effekt“? Nicht zu vergessen die „Katzen-Nutzen-Rechnung“…

Aber ums vordergründige Gelächter geht es Sonntag gar nicht. Sie möchte analysieren und Grenzen ausloten – nicht nur dessen, was das Gehirn blitzschnell als „richtig“ oder „falsch“ identifizieren kann. Sie fragt auch sehr eindringlich, warum Worte so und nicht anders heißen, lässt ein bisschen Wittgenstein’sche Sprachkritik durchscheinen und entlarvt die Willkür von Sprache. Und von gesellschaftlichem Konsenses überhaupt. Denn was sind Sprach- und Verhaltenskonventionen anderes als alogische Festlegungen?

Einschränkungen sind es, die zwar Zusammenleben und Verständigung erleichtern, aber auch begrenzen: Was jenseits der bekannten Worte ist, kann man nicht sagen. Oder – vielleicht doch. Man kann sehr wohl „Placebo Domingo“ sagen, versehentlich oder zynisch, und von „Konsensmilch“ sprechen. Vielleicht, könnte man mutmaßen, schwingt hier die Sehnsucht nach Grenzüberschreitung mit, die der Mensch nur im halb-bewussten Versprecher zu formulieren wagt. Und für die er sich sofort schämt, weil sie ihn entlarven könnte.

Kathrin Sonntag selbst öffnet sich nur bedingt: Auch sie liebt die Unschärfe– und hat den Versprechern deshalb oft absurde Fotos von Gorillas und Schlapphüten zugeordnet, über die man noch lange nachdenkt. Man tut es vergebens, denn ein Zusammenhang existiert nicht. Man müsste ihn konstruieren. Oder erfinden.

Vielleicht wird man dann so etwas wie ein Surrealist. Eventuell führt das Experiment aber auch ins Nichts. Kathrin Sonntag jedenfalls wird einen nirgends abholen. Sie verweist auf ihre Post-it-Pinnwand als intuitive, keinem Prinzip verpflichtete Versprecher-Sammlung. Von der sie die Hälfte vermutlich frei erfunden hat. PETRA SCHELLEN

bis 30. 12. 2011, Hamburg, Kunstverein