: Starke Mutterbindung
SKI Die 19-jährige Mikaela Shiffrin hält dem Erwartungsdruck ihrer Landsleute stand. Nach dem Olympiasieg verteidigt die US-Amerikanerin ihren WM-Titel im Slalom
MIKAELA SHIFFRIN
AUS BEAVER CREEK ELISABETH SCHLAMMERL
Die Reaktion war so gar nicht dem Ereignis angemessen, sie passte auch nicht zum verrückten Treiben auf der Tribüne. Mikaela Shiffrin drehte ab und wusste, sie war Weltmeisterin im Slalom. Ihre Landsleute tobten, schrien, kreischten. Ohrenbetäubender Lärm herrschte im Red-Tail-Skistadion. Aber Shiffrin stand ein paar Sekunden fast regungslos im Zielraum. Keine erlösender Jubel, kein Freudenschrei, einfach nichts. Erst als die beiden anderen Medaillengewinnerinnen am vorletzten Wettkampftag der Ski-WM in Vail/Beaver Creek auf sich zukamen, huschte ein Lächeln über ihre Lippen. Als die Schwedin Frida Hansdotter und Sarka Strachova aus Tschechien gratulierten, kehrte die entrückte Shiffrin wieder zurück in die Realität.
Dabei hatte sie in den vergangenen Tagen alle Jubelgesten im Zielraum verfolgt und sich Gedanken gemacht, was sie veranstalten würde, wenn sie ihren Erfolg von der WM in Schladming vor zwei Jahren wiederholen sollte. „Ich wollte etwas Episches tun, damit ich die Leute zum Weinen bringe“, sagte Shiffrin, die nur ein paar Kilometer von der Strecke entfernt daheim ist. Aber das hatte sie in diesem Moment vergessen, oder sie war ganz einfach nicht in der Lage dazu. „Ich kann meine Emotionen nicht so zeigen“, gibt sie zu „Da bin ich ein bisschen ein Trottel.“
Der Sieg war ein Kraftakt. „Ich hatte keine Energie mehr“, sagte sie. Aber den Willen, diesen Titel zu holen, „denn es ist wirklich etwas Spezielles, die Medaille daheim zu gewinnen“. Zwischen den beiden Durchgängen hatte sie versucht, den Druck nicht zu groß werden zu lassen. Sie machte ein Nickerchen, aß eine Pizza und legte sich zur Entspannung in den Schnee. „Ich habe mir gesagt, das Leben geht auch ohne Gold weiter.“ Als sie dann am Start stand „war mir aber klar, dass ich dieses besondere Gold unbedingt will“. Sie wurde trotz schwindender Energie im letzten Teil schneller, immer schneller. Im Ziel lag sie wieder vorne.
Eine knappe Stunde später wirkte sie endlich befreit, glücklich, fast ein bisschen überdreht. Shiffrin war für ein paar Momente plötzlich der Teenager, der sie eigentlich noch ist. Sie ist 19, in vier Wochen wird sie 20, aber nur ganz selten benimmt sie sich wie ein sehr junges Mädchen, und erst recht redet sie nicht so. Sie ist für ihr Alter erstaunlich reif und weiß genau, was sie tut. Und sie wusste, was sie bei diesen Titelkämpfen zu tun hat: Gold zu gewinnen. Mit dem Sieg von Ted Ligety im Riesenslalom am Tag zuvor war sie aber immerhin eine große Last los. Shiffrin musste wenigstens nicht mehr diese WM für ihre Heimat retten. Ligetys Rennen hat sie im Fernseher verfolgt. „Als er im Ziel war und gewonnen hatte, dachte sie nur: „Danke, dass du diese Goldmedaille holst.“
Es war keine ganz einfache Saison für Shiffrin. Nach ihrem Olympiasieg vor einem Jahr wollte sie den nächsten Schritt in ihrer Karriere anpeilen. Starts im Super-G waren angedacht, und sie glaubte, bereits mithalten zu können. „Das war arrogant von mir“, gibt sie zu. Das Wunderkind bekam Grenzen aufgezeigt. Nach ihrem ersten Riesenslalomsieg beim Saisonauftakt in Sölden schaffte es Shiffrin vor Weihnachten erst einmal nicht mehr auf das Siegerpodest. Sie habe sich im Slalom zum ersten Mal nicht mehr wohlgefühlt, gab sie zu. Vor dem Weltcup in Kühtai Ende Dezember hat sie viel am Material getüftelt.
Außerdem versetzte der Verband den für Shiffrin zuständigen Techniktrainer Roland Pfeifer zu den Männern. Es heißt, es habe teaminterne Probleme gegeben. Pfeifer und Mikaelas Mutter hatten zudem unterschiedliche Ansichten. Eileen Shiffrin begleitet ihre Tochter auf der Weltcup-Tour, und sie soll, so ist aus dem Umfeld der Mannschaft zu hören, manchmal Druck ausüben. Aber Alpinchef Patrick Riml akzeptiert diese Einmischung. Er weiß, wie wichtig es für Mikaela ist, eine Bezugsperson um sich zu haben.
Als alle Unstimmigkeiten behoben waren und das Material passte, gewann Shiffrin wieder. In Kühtai und dann eine Woche später in Zagreb. Als einzige Slalomläuferin gewann sie zwei Rennen in dieser Saison. Und jetzt auch den wichtigsten Wettbewerb des Winters. „Diese Goldmedaille“, sagte sie, „wird für den Rest meines Lebens in meinem Herzen bleiben.“ Zu so einem Tag gehört auch ein bisschen amerikanisches Pathos.